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Forschung
Sterbebegleitung geht nicht nebenbei
Frau Behzadi, Sie haben Ärzte auf verschie denen Stationen befragt, wie schwer kranke und sterbende Patienten in Krankenhäusern versorgt werden. Warum haben Sie das getan?
Das Krankenhaus ist in Deutschland der Sterbeort Nummer 1, das heißt, mehr als die Hälfte aller Menschen stirbt in einem Krankenhausbett. Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung zukünftig sogar mehr. Deshalb wollten wir wissen, wie gut Kliniken der Maximalversorgung auf das Sterben vorbereitet sind, wie gut es gelingt, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen.
Was haben Ihnen die Ärzte gesagt?
Die Ärzte beschreiben eine enorme Diskrepanz zwischen ihren Ansprüchen an eine würdevolle Behandlung Schwerstkranker und Sterbender und der Klinikrealität. Da bleibt zum Beispiel für Gespräche mit Angehörigen keine Zeit. Kurz gesagt: Kaum einer fühlt sich auf den Umgang mit Sterbenden wirklich gut vorbereitet.
Woran liegt das?
Zum einen sind palliativmedizinische Maßnahmen nicht ausreichend bekannt bzw. werden in der Hochleistungsmedizin nicht umgesetzt. Zum anderen fehlen Strukturen, die eine angemessene Sterbebegleitung ermöglichen. Da reicht auch das Vorhandensein einer Palliativstation nicht aus, denn gestorben wird auch auf Normal- und Intensivstationen.
Was ist mit Strukturen gemeint?
In unseren Interviews wurde deutlich, dass Sterbebegleitung vor allem als pflegerische Arbeit verstanden wird. Hier fehlt es schlichtweg an Personal und Zeit. Die Ärzte beschreiben strukturelle Unzulänglichkeiten wie fehlende Einarbeitung und Fall- und Teambesprechungen sowie ein spärlich integriertes Angebot psychosozialer Hilfen. Therapieentscheidungen sind ethische Herausforderungen, auf die Assistenzärzte kaum vorbereitet werden und wo die fachliche Anleitung fehlt. Sterbebegleitung ist quasi eine von vielen Aufgaben, die irgendwie mit erledigt werden muss.
Es gibt ja eine Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen. Nach allem, was Sie schildern, sind die dort formulierten Grundsätze für ein würdevolles Sterben in der Handlungspraxis eines Krankenhauses noch nicht wirklich angekommen?
Wie gut die Umsetzung gelingt, hängt sehr von der jeweiligen Klinikleitung ab. Was fehlt, ist die strukturelle Verankerung dieser Grundsätze im System. In den Interviews wurde sehr deutlich, dass der ökonomische Druck, also fehlende Ressourcen sowie eine fehlende Lern- und Anerkennungskultur eine wesentliche Rolle spielt.
Wen haben Sie genau befragt?
Wir haben bewusst Ärzte gewählt, die tagtäglich auf den Stationen arbeiten. Insgesamt haben wir 30 qualitative Interviews mit Ärzten aus 13 verschiedenen Fachrichtungen geführt, die an der Behandlung von schweren Erkrankungen beteiligt sind.
Die Ergebnisse zeigen einen enormen Handlungsbedarf. Wie geht es jetzt weiter?
In unserem Projekt, welches wir Dank der Unterstützung der Berliner Krebsgesellschaft durchführen konnten, haben wir zunächst den Status Quo erhoben. Anschließend haben wir in einer Diskussionsrunde mit allen Beteiligten gemeinsam Empfehlungen formuliert. Den Handlungsbedarf sehen wir auf der politischen Ebene ebenso wie auf der administrativen und strukturellen.
Was ist Ihre Hoffnung?
Wir hoffen, dass die Stimmen aus der Praxis Gehör finden und deutlich wird, dass die Versorgung schwerstkranker und sterbender Menschen eng mit den strukturellen Bedingungen verknüpft ist: verbessern sich die Strukturen, dann verbessert sich auch die Behandlung im Krankenhaus.