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Charité
Erfolgreiche Versorgungsforschung an der Charité: Innovationsfonds fördert neun weitere Forschungsvorhaben
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) fördert mit den Mitteln des Innovationsfonds Projekte, die über die bisherige Regelversorgung der gesetzlichen Krankenkassen hinausgehen. Mit den neuen Förderentscheidungen werden 32 themenoffene und themenspezifische Projekte der Versorgungsforschung gefördert sowie weitere 18 Projekte, die medizinische Leitlinien entwickeln oder weiterentwickeln werden.
„Die an der Charité neu geförderten Projekte widmen sich den zukünftig immer bedeutsamer werdenden Themen der Versorgung aller Altersgruppen – etwa präventiven Ansätzen zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit oder zur Reduzierung von Komplikationen“, erklärt Prof. Dr. Elke Schäffner, Sprecherin der Plattform – Charité Versorgungsforschung. „Personalisierte Behandlungspfade rücken dabei verstärkt in den Fokus. Um die dafür erforderliche Präzision zu erreichen und Entscheidungshilfen zu bieten, ist die Zusammenführung individueller medizinischer Informationen und die Berücksichtigung der Behandlungserfahrungen aller Gesundheitsprofessionen essenziell. Unterstützt durch digitale Technologien ergeben sich daraus zahlreiche Möglichkeiten, alle notwendigen Perspektiven – nicht zuletzt die der Patientinnen und Patienten – in den Prozess einzubeziehen und so Entscheidungen im Versorgungsalltag weiter zu optimieren.“
Folgende Projekte werden u.a. unter Federführung der Charité aus Mitteln des Innovationsfonds gefördert:
Medizinische Leitlinien
FrailtyOP: Perioperative Versorgung von gebrechlichen Patientinnen und Patienten (Leitlinienentwicklung)
Aufgrund der steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung und des medizinischen Fortschritts erfolgen mehr und komplexere chirurgische Eingriffe bei älteren und gebrechlichen Patientinnen und Patienten. Bis zu 50 Prozent der Menschen über 65 Jahre auf chirurgischen Stationen leiden an dem sogenannten Frailty-Syndrom – also an Gebrechlichkeit. Die Betroffenen sind unter anderem in ihrer Beweglichkeit und Muskelkraft eingeschränkt. Zugleich haben sie ein deutlich höheres Risiko, nach einer Operation Komplikationen wie Infektionen oder langfristige geistige und körperliche Beeinträchtigungen zu entwickeln und pflegebedürftig zu werden. Das Risiko, im ersten Jahr nach einer Operation zu versterben, liegt für die Betroffenen zudem bis zu fünfmal höher als bei gesundheitlich robusten Patientinnen und Patienten. Im Projekt FrailtyOP soll erstmals eine Leitlinie zur Versorgung von Betroffenen mit Frailty-Syndrom entwickelt werden. Ziel ist es, einen Goldstandard zur Erfassung des Krankheitsbilds einzuführen, optimale Behandlungsinstrumente zu identifizieren und Standards für die perioperative Behandlung von Betroffenen – vor, während und nach einer Operation – festzulegen. Nach dem Einsatz und der Qualitätskontrolle der Leitlinie im klinischen Alltag wird diese schließlich in der Datenbank der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) veröffentlicht.
Projektleitung: Prof. Dr. Stefan Schaller, Stellvertretender Direktor der Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin, Campus Virchow-Klinikum und Charité Campus Mitte
Versorgungsforschung
Digi-POD: Digitalisierte klinische Entscheidungsunterstützung zur Prävention des postoperativen Delirs
Ein postoperatives Delir ist eine schwere, akute Störung des Gehirns, die bei 15 Prozent aller Patientinnen und Patienten nach einer Operation auftritt. Dadurch sind Aufmerksamkeit, Bewusstsein und Denkvermögen und somit auch die Lebensqualität oft langfristig eingeschränkt. Um solche Langzeitfolgen oder eine Pflegebedürftigkeit der Betroffenen zu verhindern, ist eine rechtzeitige und leitlinienbasierte Behandlung wichtig. Das Projekt Digi-POD ist ein sich selbst aktualisierendes, zeit- und personenunabhängiges Unterstützungssystem, das alle aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse in Abstimmung mit dem praktisch tätigen medizinischen Personal vereint. Damit kann aktuelles medizinisches Wissen nach neuestem Kenntnisstand der Medizin sofort bei Patientinnen und Patienten umgesetzt werden. Diese Entscheidungsunterstützung sorgt dafür, dass aktuelle Leitlinienempfehlungen direkt und in Echtzeit mit strukturierten Daten abgeglichen, bedarfsgerecht anwendbar und kontrolliert umgesetzt werden. Sie ermöglicht zudem durch künstliche Intelligenz erstmals eine automatisierte Auswertung medizinischer Daten individuell für jede Patientin und jeden Patienten nach deren Bedürfnissen.
Projektleitung: Prof. Dr. Claudia Spies, Direktorin der Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin, Campus Virchow-Klinikum und Charité Campus Mitte
FAIR4Rare: Begleitende Evaluation im Aufbauprozess eines offenen Nationalen Registers für Seltene Erkrankungen (NARSE)
Medizinische Register sind ein wichtiges Werkzeug für die Erforschung, aber auch für die Versorgung seltener Erkrankungen. Gelingt die Auffindbarkeit, der Zugang, die Interoperabilität und die Wiederverwendbarkeit der Daten – kurz: die Umsetzung der FAIR-Prinzipien (findable, accessable, interoperable, reusable) – lässt sich die Translation neuer Erkenntnisse und Therapieoptionen beschleunigen. Das Nationale Register für Seltene Erkrankungen (NARSE) ist ein medizinisches Register, das sich derzeit in der Pilotphase befindet und Daten von Patientinnen und Patienten zu ausgewählten seltenen Erkrankungen erfasst, für die bereits eine Therapieoption auf dem Weg ist. Im begleitenden Projekt FAIR4Rare überprüfen die Projektpartner aus Versorgungsforschung, Klinik, Registerbetreibern und Patientenorganisationen, inwiefern das NARSE auf Akzeptanz bei den Nutzenden trifft und welche Weiterentwicklungen notwendig sind, um es so zu etablieren, dass Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen eine gerechtere Teilhabe in unserem Gesundheitssystem ermöglicht wird. Wichtig sind dabei neben der Befragung von Nutzenden des Registers auch der Vergleich mit Datenbeständen aus der Medizininformatik-Initiative (MII) sowie mit dem gut etablierten Deutschen Mukoviszidose Register.
Projektleitung: Dr. Josef Schepers, Koordinator für Medizininformatik der Core Unit eHealth and Interoperability (CEI), Berlin Institute of Health in der Charité (BIH)
IntSim-Onko: Integration von klinischen und molekularen Daten in der Präzisionsonkologie zur Entwicklung eines auf Ähnlichkeitsmaßen basierenden Algorithmus für Therapieempfehlungen
Die Präzisionsonkologie hat ein hohes Ziel: Für Krebspatientinnen und -patienten, bei denen die Standardverfahren nicht ausreichend wirksam sind, soll nach einer tiefgehenden Analyse des Tumors ein individualisierter Behandlungsplan entwickelt werden. Hierfür muss aus allen erhobenen Daten – von klinischen Verlaufsdaten, Laborinformationen, pathologischen Befundberichten bis hin zu molekularen Charakterisierungen des Tumorgewebes – ein Gesamtbild der Krebserkrankung entwickelt und in eine Therapieempfehlung umgesetzt werden. Dieses Gesamtbild wird dann mit Hintergrundwissen und ähnlichen Fällen aus der medizinischen Literatur verglichen. Die mathematische Beschreibung von Ähnlichkeiten wiederum ist abhängig von der Art der Daten. Hierbei spielen bioinformatische Werkzeuge und Analysen eine essentielle Rolle, die in der Medizin immer bedeutender werden und zur kontinuierlichen Verbesserung der Gesundheitsversorgung beitragen. Im Projekt IntSim-Onko werden die komplexen Gesamtbilder in ihre Einzelfaktoren zerlegt, deren Einfluss auf Behandlungsergebnisse systematisch analysiert und mit Hilfe maschineller Lernverfahren individuell gewichtet. Die daraus entwickelten Algorithmen und die entsprechenden Suchfunktionen sollen die datengestützten Empfehlungen in der Präzisionsonkologie voranbringen und so die individualisierte Behandlung von Krebspatientinnen und -patienten entscheidend unterstützen.
Projektleitung: Dr. Manuela Benary, Charité Comprehensive Cancer Center (CCCC), Charité Campus Mitte und Core Unit Bioinformatics (CUBI) des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH); Prof. Dr. Ulrich Keilholz, Direktor des Charité Comprehensive Cancer Center (CCCC)
KIDS: KI verbessert Diagnostik in der Seniorenpflege
Verletzungen der Mundschleimhaut können sehr schmerzhaft sein und zur Entstehung von Mundhöhlenkarzinomen beitragen. Insbesondere bei pflegebedürftigen Senior:innen, bei denen solche Gewebsverletzungen häufig auftreten, ist eine korrekte Diagnostik die Basis für eine frühzeitige und angemessene Therapie. Ziel des Vorhabens KIDS ist es, die Diagnostik von oralen Erkrankungen bei Bewohnern stationärer Seniorenpflegeeinrichtungen durch den Einsatz eines durch künstliche Intelligenz (KI) gestützten Systems zur Entscheidungsunterstützung zu verbessern. Auf der Basis einer Datenbank und unter Anwendung genereller Qualitätsstandards werden die KI-Modelle bei der Feststellung und Einordnung von Mundschleimhautläsionen unterstützen. Die künstliche Intelligenz soll auf diese Weise die Überweisungs- und Wiederbegutachtungsrate verringern. Auf diese Weise könnte eine gezieltere Überweisung und Wiederbegutachtung der Pflegebedürftigen zugleich helfen, Transportaufwand und Belastungen zu reduzieren, den Therapiebedarf zu priorisieren und Kosten zu senken.
Projektleitung: Prof. Dr. Falk Schwendicke, Direktor der Abteilung für Orale Diagnostik, Digitale Zahnheilkunde und Versorgungsforschung, Campus Benjamin Franklin
WEGE: Analysen von Versorgungsverläufen älterer AOK-Versicherter im Vorfeld einer
Pflegebedürftigkeit
Bisher fehlen systematische Verlaufsanalysen, die die Rolle von Versorgung bei der Entstehung oder Vermeidung von Pflegebedarf beleuchten. Das Projekt WEGE, das in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) durchgeführt wird, setzt hier an. Ziel ist es, im Vergleich unterschiedlicher Versorgungsverläufe – rückblickend über einen Zeitraum von fünf Jahren – die Konstellationen zu identifizieren, die besonders geeignet sein könnten, um Pflegebedürftigkeit zu vermeiden oder zu verzögern. Die Datenbasis bilden Routinedaten von Kranken- und Pflegekassen sowie Pflegebegutachtungen des Medizinischen Dienstes. Das Projekt prüft die Hypothese, dass bestimmte Konstellationen in der Versorgung Vorhersagen über den Pflegebedarf erlauben und somit ein Ansatzpunkt für die Prävention sein können. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, eine Versorgungskontinuität älterer Versicherter aufzubauen und so den Pflegebedarf weitgehend zu vermeiden.
Projektleitung: Dr. Stefan Blüher und Prof. Dr. Adelheid Kuhlmey, Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft, Campus Charité Mitte
Beteiligt ist die Charité als Konsortialpartnerin auch an weiteren Projekten in der Versorgungsforschung:
BENITA: Bewegungs- und Ernährungsintervention bei Ovarialkazinom – Entwicklung eines Versorgungskonzepts und Evaluation in der klinischen Routine
Konsortialführung: Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Projektleitung an der Charité: Prof. Dr. Jalid Sehouli, Direktor der Klinik für Gynäkologie mit Zentrum für onkologische Chirurgie, Campus Virchow-Klinikum
IPS: Integrierte psychosoziale Versorgung in der Intensivmedizin – Partizipative Entwicklung und Pilotierung eines innovativen Versorgungsansatzes
Konsortialführung: Universität Ulm
Projektleitung an der Charité: Prof. Dr. Matthias Rose, Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Psychosomatik, Campus Benjamin Franklin
Projektförderung durch den Innovationsausschuss
Der Gesetzgeber hat zur qualitativen Weiterentwicklung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland einen Innovationsfonds geschaffen. Der Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) legt die Schwerpunkte und Kriterien zur Vergabe der Mittel fest und entscheidet über die eingegangenen Anträge auf Förderung. Die zur Verfügung stehende Fördersumme betrug zwischen 2016 und 2019 jährlich 300 Millionen Euro. Davon waren 225 Millionen Euro für die Förderung neuer Versorgungsformen und 75 Millionen Euro für die Versorgungsforschung vorgesehen. Der Innovationsfonds wird nun mit einer Ausstattung von 200 Millionen Euro pro Jahr bis zum Jahr 2024 fortgeführt, bei einer Weiterentwicklung des Förderverfahrens. Über Förderanträge der neuen Versorgungsformen wird jetzt in einem zweistufigen Auswahlverfahren entschieden. Außerdem wurde ein Verfahren zur Überführung erfolgreicher Ansätze aus Projekten in die Regelversorgung geschaffen. Der Innovationsfonds wird von Mitteln der gesetzlichen Krankenkassen aus dem Gesundheitsfonds getragen. Mit den gerade bewilligten Projekten hat die Charité nun die Konsortialführung von insgesamt 49 laufenden oder bereits abgeschlossenen Projekten inne, die seit 2016 durch den Innovationsfonds unterstützt worden sind – davon 16 Projekte im Bereich Neue Versorgungsformen, 28 im Bereich Versorgungsforschung sowie fünf Projekte zur Entwicklung und Weiterentwicklung medizinischer Leitlinien. Bei 32 weiteren Projekten tritt die Charité als Konsortialpartnerin auf.
Wissenschaftliche Ansprechpartnerin
Dr. Verena Materna
Wissenschaftliche Koordinatorin
Plattform – Charité Versorgungsforschung
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Tel.: 030 / 450 553 807
E-Mail: verena.materna@charite.de