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NCT Heidelberg
Lynch-Syndrom: Immunmikromilieu als Risikofaktor für Darmkrebs
Darmkrebs ist eine der häufigsten Tumorarten weltweit. Ein wesentlicher Teil der Darmtumoren ist erblich bedingt. Das gilt insbesondere für solche, die bei jungen Menschen auftreten. Das häufigste erbliche Darmkrebssyndrom ist das Lynch-Syndrom. Dieser vererbbare Gendefekt erhöht das Risiko, an Tumoren des Darms, der Gebärmutter und anderer Organe zu erkranken, drastisch. Doch nicht alle Menschen, bei denen das Lynch-Syndrom festgestellt wurde, sogenannte Anlageträger, entwickeln im Laufe ihres Lebens Tumoren. Fachleute schätzen das Risiko für Betroffene, an Darmkrebs zu erkranken, auf ungefähr 50 Prozent. Bisher waren die Risikofaktoren, die dazu führen, dass Anlageträger einen Tumor entwickeln, weitgehend unbekannt. Das sollte sich durch die jetzt vorgestellte Studie ändern, die von der Else Kröner-Fresenius-Stiftung maßgeblich gefördert wurde und die Forschende des UKHD und am NCT Heidelberg umgesetzt haben. In enger Kooperation haben sich zudem die Abteilung für Allgemeine Pathologie des UKHD, das Universitätsklinikum Bonn, die Universität Newcastle, Großbritannien, und die Universität Jyväskylä, Finnland, sowie andere nationale und internationale Partner beteiligt.
Die Abteilung für Angewandte Tumorbiologie des UKHD unter dem Ärztlichen Direktor Magnus von Knebel Doeberitz beschäftigt sich seit über zwanzig Jahren mit dem Lynch-Syndrom. Aysel Ahadova, Leiterin der aktuellen Studie, erläutert: „Tumoren bei Patienten, die das Lynch-Syndrom tragen, sind auffällig stark mit Immunzellen infiltriert. Zudem konnten wir in früheren Arbeiten spezifische Immunantworten im Blut von Anlageträgern nachweisen, obwohl diese noch keinen Tumor entwickelt hatten.“ Dies deutet darauf hin, dass eine spezifische Immunreaktion beim Lynch-Syndrom existieren kann noch bevor ein Tumor entsteht. Jedoch war es bisher unklar, ob solche Immunreaktionen auch lokal im gesunden Darmgewebe auftreten.
Die Forschenden haben diese Frage nun durch eine große internationale Studie beantwortet. Sie untersuchten einerseits die tumorferne Darmschleimhaut von Lynch-Syndrom-Tumorpatienten und andererseits die Darmschleimhaut von Anlageträgern ohne Tumorvorgeschichte quantitativ auf die Immunzellkomposition. Zudem erstellten sie ein umfassendes Gen-Expressionsprofil der Gewebeproben und verglichen dieses mittels moderner bioinformatischer Verfahren mit dem Expressionsprofil im Tumorgewebe.
Lena Bohaumilitzky, Erstautorin der veröffentlichten Studie, erläutert: „Diese Analysen zeigen, dass die Immunzellkomposition der Darmschleimhaut sich quantitativ und qualitativ deutlich von der im Tumorgewebe unterscheidet. Während die Darmschleimhaut mehr immunaktiviertes Milieu aufwies, waren in den Tumoren immunsuppressive Zellpopulationen überrepräsentiert.“ Eine zusätzliche neue Erkenntnis: Menschen mit Lynch-Syndrom, die zum Zeitpunkt der Untersuchung an einem Darmtumor leiden, besitzen in der tumorfernen Darmschleimhaut ein Immunprofil, welches deutlich von der Darmschleimhaut bei den Anlageträgern ohne Tumorvorgeschichte abgrenzbar ist.
Matthias Kloor, Leiter der Arbeitsgruppe Immunbiologie der MSI (Mikrosatelliteninstabilität) Tumoren, sagt: „Um zu klären, ob dies ein Hinweis auf eine tumorsupprimierende Wirkung von Immunzellen im Darm sein könnte, haben wir untersucht, ob die Immunreaktion im Darm mit der durchschnittlichen Zeit bis zum Auftreten eines Tumors zusammenhängt.“ An Proben von Lynch-Anlageträgern aus einer anderen Studie konnten die Studienbeteiligten einen bisher unbekannten Zusammenhang beobachten: Je mehr Immunzellen sich am Anfang der Beobachtungszeit in der Darmschleimhaut befanden, desto länger dauerte es, bis ein Tumor entstand. Darüber hinaus macht die Studie deutlich, dass die Immunaktivierung beim Lynch-Syndrom sich lange vor der Tumorentstehung nachweisen lässt.
Generell ist eine frühzeitige Lynch-Syndrom-Diagnostik von großer klinischer Relevanz. Sie identifiziert Anlageträger noch vor der Tumorentstehung und ermöglicht ihnen die Teilnahme an spezialisierten Vorsorgeprogrammen. Genau dieses Ziel verfolgt auch ein weiteres Projekt von Aysel Ahadova und Mitautorin Elena Busch, das am NCT Heidelberg durch das Programm „Spenden gegen Krebs“ gefördert wird. Dabei untersuchen die beiden Forscherinnen, inwiefern die Immunreaktion im Blut zur Identifikation von Menschen mit Lynch-Syndrom dienen kann.
Publikation:
Lena Bohaumilitzky, Klaus Kluck, Robert Hüneburg, Richard Gallon, Jacob Nattermann, Martina Kirchner, Glen Kristiansen, Oliver Hommerding, Pauline L. Pfuderer, Lelia Wagner, Fabian Echterdiek, Svenja Kösegi, Nico Müller, Konstantin Fischer, Nina Nelius, Ben Hartog, Gillian Borthwick, Elena Busch, Georg Martin Haag, Hendrik Bläker, Gabriela Möslein, Magnus von Knebel Doeberitz, Toni T. Seppälä, Maarit Ahtiainen, Jukka-Pekka Mecklin, D Timothy Bishop, John Burn, Albrecht Stenzinger, Jan Budczies, Matthias Kloor, Aysel Ahadova. The different immune profiles of normal colonic mucosa in cancer-free Lynch syndrome carriers and Lynch syndrome colorectal cancer patients. Gastroenterology. In press; doi: 10.1053/j.gastro.2021.11.029
Bildunterschrift:
Die Darmschleimhaut von Anlageträgern des Lynch-Syndroms ohne Tumorvorgeschichte (blau) weist ein Immunprofil auf, das sich stark vom Immunprofil in der turmorfernen Darmschleimhaut von Lynch-Syndrom-Tumorpatienten (rot) unterscheidet. Dies könnte sowohl eine Folge der immunsupprimierenden Wirkung des anwesenden Tumors sein, als auch eine wichtige Rolle des Immunprofils im Darm bei der Tumorentstehung in Lynch-Syndrom widerspiegeln.