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Ernährung
Positionspapier Proteinverhältnis: Wo stehen wir bei der Proteinwende?
Immer mehr Lebensmittelhändler wollen Verantwortung für die Ernährungswende übernehmen. Um konkrete Ergebnisse vorweisen zu können, braucht der Handel greifbare Zahlen – Zahlen, wie sie die Messung des Proteinverhältnisses im Verkaufsvolumen liefert. Wer profitiert davon, das Verhältnis von pflanzlichen zu tierischen Proteinen zu messen?
Die Ernährungsorganisation ProVeg liefert in einem Positionspapier zusammen mit dem Branchenverband BALPro und der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt Antworten und spricht sich für eine Branchenlösung aus.
Wer profitiert von der Messung?
Unterstützt von Nichtregierungsorganisationen treibt der Lebensmitteleinzelhandel die Messung des Proteinverhältnisses derzeit maßgeblich voran. In den Niederlanden analysieren bereits sieben Einzelhandelsketten die von ihnen verkauften Nahrungsmittel, darunter Albert Heijn, Aldi und Lidl.1 Im Vereinigten Königreich ermitteln Tesco und Sainsbury’s ihr Proteinverhältnis.2 In Österreich, Belgien und Deutschland misst Lidl das Verhältnis von pflanzlichen zu tierischen Proteinen in seinem Verkaufsvolumen.3 4 5
Dirk Liebenberg, Senior Project Manager Corporate & Institutional Engagement bei der Ernährungsorganisation ProVeg, weiß, wie der Handel davon profitiert: „Die Händler kennen ihre Verkaufszahlen. Sie können ihre Nachhaltigkeitsziele und ihre Berichterstattung mit konkreten Kennzahlen zum Proteinverhältnis ihrer verkauften Nahrungsmittel untermauern. Auf dieser Grundlage können die Händler Verkaufsstrategien zielgerichtet nachhaltiger gestalten.“
Und da hören die Möglichkeiten noch längst nicht auf: Eine Messung des Proteinverhältnisses wäre analog auch im Außer-Haus-Markt möglich, erläutert Liebenberg. Ebenso könnte die Regierung davon profitieren, das Proteinverhältnis im Verzehr als Index in der nationalen Ernährungsstrategie zu verankern. „Stellen Sie sich vor, der Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft würde alljährlich das nationale Proteinverhältnis veröffentlichen.“ Liebenberg sähe darin eine substanzielle Stärkung der öffentlichen Ernährungskommunikation.
Die Niederlande haben bereits ein nationales Ziel für den Verzehr ausgerufen. Allerdings ist der Handel in unserem Nachbarland ehrgeiziger als die Politik: Das niederländische Agrar- und Gesundheitsministerium will bis 2030 im nationalen Verzehr ein Verhältnis von 50 Prozent pflanzlichem zu 50 Prozent tierischem Protein erreichen.6 Der dortige Lebensmitteleinzelhandel strebt inzwischen ein Verhältnis von 60:40 an.7
Welche Methode empfiehlt sich?
ProVeg empfiehlt, bei der Messung des Proteinverhältnisses alle Nahrungsmittel zu berücksichtigen statt nur die besonders proteinhaltigen Kategorien wie Fleisch und Milchprodukte und deren pflanzliche Alternativen. Denn: Eine kategorienübergreifende Messung gewährleistet die Vergleichbarkeit der Ergebnisse – von Jahr zu Jahr und zwischen Händlern mit unterschiedlichen Sortimenten. So können die Verantwortlichen aller Warengruppen zur Proteinwende beitragen.
Diese Messmethode ist als Protein-Tracker-Methode bekannt. ProVeg Niederlande und die niederländische Green Protein Alliance haben sie für den Lebensmitteleinzelhandel entwickelt.8 Gewichtet nach ihrem jeweiligen Proteingehalt, bezieht sie alle Nahrungsmittel mit ein, so auch Obst, Gemüse und Getreideerzeugnisse wie Brot und Nudeln.
Unabhängig von der Messmethode bietet insbesondere eine einheitliche Branchenlösung entscheidende Vorteile: „Wird das Proteinverhältnis nach der gleichen Methode gemessen, lassen sich die Ergebnisse direkt vergleichen“, erläutert Freya Hiemstra, Corporate Engagement Officer bei ProVeg Niederlande. „Das funktioniert auch länderübergreifend: Der Einzelhandel in Deutschland könnte zum Beispiel seine Fortschritte denen in den Niederlanden gegenüberstellen.“
Ein weiterer Vorteil einer Branchenlösung ist der Austausch von Best Practices: Ein Händler könnte vom anderen lernen, welche Maßnahmen das Proteinverhältnis nachweislich verbessern. Auch Konkurrenz untereinander kann dem Einzelhandel zugutekommen. „Die Händler neigen zu ambitionierteren Zielen, wenn sie sich vergleichen können“, weiß Esther Rabofski, stellvertretende Leiterin des Bereichs Lebensmittel-Fortschritt bei der Albert Schweitzer Stiftung. „Nach unserer Erfahrung setzen Händler besonders effektive Maßnahmen um, wenn sie über ihre Fortschritte berichten. Es braucht also regelmäßige und vergleichbare Erhebungen des Proteinverhältnisses, die veröffentlicht werden.“
Ein Fahrplan für die erfolgreiche Proteinwende
Auf Grundlage der Planetary Health Diet hat ProVeg als Zielwert ein Verhältnis von 60 Prozent pflanzlicher zu 40 Prozent tierischer Proteine errechnet.9 Auf die Ernährungsempfehlungen der internationalen EAT-Lancet-Kommission stützen mittlerweile einige der größten Händler in Deutschland ihre Ernährungsstrategien.10 11 12 „Pflanzliche Alternativen können entscheidend dazu beitragen, die Schieflage im Proteinverhältnis umzukehren. Sie sind gut für das Klima, gut für die Tiere, gut für die Gesundheit und darum vor allem gut für die Wirtschaft, den Handel und die Landwirtschaft“, urteilt Godo Röben, Experte für Fleischalternativen beim Branchenverband BALPro. „Mit diesen Produkten hat Deutschland die Chance, einer der innovativsten Agrarstandorte weltweit zu werden.“
Jeder Mensch in Deutschland isst im Schnitt 51,6 Kilogramm Fleisch im Jahr.13 Das sind 9,4 Kilogramm weniger als fünf Jahre zuvor, mit Blick auf unsere Gesundheit, unsere Umwelt und das Klima aber eindeutig noch zu viel. Das bestätigt auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), die ihre Ernährungsempfehlungen kürzlich gesenkt hat.14
Ernährung verursacht etwa ein Drittel der globalen Treibhausgas-Emissionen.15 16 17 Über die Hälfte der ernährungsbedingten Emissionen entsteht bei der Produktion tierischer Nahrungsmittel.18 Fleisch und Milchprodukte belasten das Klima dabei mit am stärksten.19 20 21 Das macht Ernährung zu einem mächtigen Hebel im Kampf gegen die Klimakrise.22
Und tatsächlich wandelt sich die Ernährung hierzulande: 46 Prozent der Bevölkerung ernähren sich inzwischen flexitarisch und reduzieren den Konsum tierischer Nahrungsmittel aktiv, Vegetarier und Veganer nicht eingerechnet.23 Im Handel trifft der Ruf nach mehr pflanzenbasierten Nahrungsmitteln so auch auf offene Ohren.
ZUM POSITIONSPAPIER
Quellen
1 Questionmark Foundation (2024): Superlist Green 2023 – Which supermarkets make sustainable food the easy choice?, Niederlande, 2. Auflage, veröffentlicht im Januar 2024. Online unter: https://www.thequestionmark.org/download/superlist-report-nl-green-2023-v1.1.en.pdf
2 WWF (2022): What’s in store for the planet: the impact of the UK shopping basket on climate and nature – 2022, veröffentlicht im November 2022. Online unter: https://www.wwf.org.uk/sites/default/files/2022-11/WWF-Whats-in-Store-for-our-Planet-the-Impact-of-UK%20Shopping-Baskets-on-Climate-and-Nature-2022-v1.pdf
3 Lidl: Proteinstrategie, abgerufen am 09.07.2024. Online unter: https://unternehmen.lidl.de/verantwortung/gut-fuer-die-menschen/gesundheit-foerdern/handlungsfelder/bewusste-ernaehrung/proteinstrategie
4 Lidl (2023): Für das Sortiment von morgen: Lidl Österreich veröffentlicht erstmals Anteil tierischer Proteinquellen im Sortiment, veröffentlicht am 11.10.2023. Online unter: https://corporate.lidl.at/media-center/pressreleases/2023/20231011_proteinshift
5 Lidl Belgien: Lidl België implementeert ambitieuze proteïnestrategie en verlaagt permanent de prijzen van plantaardige producten, abgerufen am 09.07.2024. Online unter: https://lidl.prezly.com/lidl-belgie-implementeert-ambitieuze-proteinestrategie-en-verlaagt-permanent-de-prijzen-van-plantaardige-producten
6 Nutrition insight (2023): Health Council urges Dutch government to push 60:40 plant-to-animal-based ratio diet, veröffentlicht am 15.12.2023. Online unter: https://www.nutritioninsight.com/news/health-council-urges-dutch-government-to-push-6040-plant-to-animal-based-ratio-diet.html
7 ProVeg Netherlands (2024): Supermarkten publiceren eerste gezamenlijke meting om de eiwittransitie in kaart te brengen, veröffentlicht am 28.03.2024. Online unter: https://proveg.com/nl/blog/supermarkten-publiceren-eerste-meting-eiwittransitie-eiweet/
8 Green Protein Alliance & Proveg Netherlands (2023): The Protein Tracker, veröffentlicht im September 2023. Online unter: https://greenproteinalliance.nl/wp-content/uploads/2023/11/The-Protein-Tracker-2023-Green-Protein-Alliance-Proveg-20231102.pdf
9 Vgl. EAT-Lancet Commission (2019): Healthy Diets From Sustainable Food Systems, Summary Report of the EAT-Lancet Commission. Online unter: https://eatforum.org/content/uploads/2019/07/EAT-Lancet_Commission_Summary_Report.pdf
10 Aldi Süd (2023): Aldi Süd Ernährungsreport #Ernährungswechsel, Stand: März 2023. Online unter: https://s7g10.scene7.com/is/content/aldi/230525_AS_Ernaehrungsreport_V12.pdf
11 Edeka (2024): Planetary Health Diet: Mit EDEKA genussvoll die Welt verändern, Pressemitteilung vom 25.01.2024. Online unter: https://verbund.edeka/presse/pressemeldungen/planetary-health-diet-mit-edeka-genussvoll-die-welt-ver%C3%A4ndern.html
12 Lidl (2023): Lidl fördert nachhaltige und gesunde Ernährung, Pressemitteilung vom 10.01.2023. Online unter: https://unternehmen.lidl.de/pressreleases/2023/230110_bewusste-ernaehrung
13 Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (2024): Pro-Kopf-Verzehr von Fleisch sinkt auf unter 52 Kilogramm, veröffentlicht am 04.04.2024. Online unter: https://www.ble.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/240404_Fleischbilanz.html
14 Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (2024): Gut essen und trinken – DGE stellt neue lebensmittelbezogene Ernährungsempfehlungen für Deutschland vor, veröffentlicht am 05.03.2024. Online unter: https://www.dge.de/presse/meldungen/2024/gut-essen-und-trinken-dge-stellt-neue-lebensmittelbezogene-ernaehrungsempfehlungen-fuer-deutschland-vor/
15 IPCC (2022): Climate Change 2022: Impacts, Adaptation, and Vulnerability, Contribution of Working Group II to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change, Cambridge University Press, Cambridge, UK & New York, NY, USA. Doi: 10.1017/9781009325844
16 Crippa, M. et al. (2021): Global anthropogenic emissions in urban areas: patterns, trends, and challenges, Environmental Research Letters 16(7), IOP Publishing, 074033. Doi: 10.1088/1748-9326/ac00e2
17, 18, 20 Xu, X. et al. (2021): Global greenhouse gas emissions from animal-based foods are twice those of plant-based foods, Nature Food 2, 724–732. Doi: 10.1038/s43016-021-00358-x
19 Reinhard, G., S. Gärtner & T. Wagner (2020): Ökologische Fußabdrücke von Lebensmitteln und Gerichten in Deutschland, Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu), Heidelberg. Online unter: https://www.ifeu.de/fileadmin/uploads/Reinhardt-Gaertner-Wagner-2020-Oekologische-Fu%C3%9Fabdruecke-von-Lebensmitteln-und-Gerichten-in-Deutschland-ifeu-2020.pdf
21 Poore, J. & T. Nemecek (2018): Reducing food’s environmental impacts through producers and consumers. Science 360(6392), 987–992. Doi: 10.1126/science.aaq0216
22 EAT-Lancet Commission (2019): Healthy Diets From Sustainable Food Systems, Summary Report of the EAT-Lancet Commission. Online unter: https://eatforum.org/content/uploads/2019/07/EAT-Lancet_Commission_Summary_Report.pdf
23 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2023): Deutschland, wie es isst: Der BMEL-Ernährungsreport 2023, veröffentlicht am 13.10.2023. Online unter: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/ernaehrungsreport-2023.html