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Potsdam
23. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung eröffnet
Heute wurde der 23. Deutsche Kongress für Versorgungsforschung (DKVF) in Potsdam eröffnet. Die Veranstaltung des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung (DNVF) steht in diesem Jahr unter dem Motto „Implementierungswissen schafft innovative Versorgung“. In mehr als 500 wissenschaftlichen Beiträgen wird ab heute bis zum 27. September diskutiert, wie ein Transfer von Erkenntnissen aus der Versorgungsforschung in den Versorgungsalltag besser gelingen kann.
Auf der Pressekonferenz vor der Eröffnungsveranstaltung gab Kongresspräsidentin Prof. Dr. Juliane Köberlein-Neu einen Überblick über die Schwerpunkte des diesjährigen DKVF und betonte, wie wichtig eine strukturierte Implementierung von Erkenntnissen aus der Versorgungsforschung in unserem Gesundheitssystem sei. Ganz konkret veranschaulichte die Gesundheitsökonomin, Inhaberin des Lehrstuhls für Versorgungsforschung und Gesundheitsökonomische Evaluation an der Bergischen Universität Wuppertal, dies am Beispiel Pflegeheimversorgung: „Untersuchungen aus Deutschland zeigen, dass bei Pflegeheimbewohnenden ca. 27 Prozent potenziell vermeidbare Krankenhausaufenthalte auftreten und eine Reduktion der Krankenhausaufenthalte in Anbetracht der Belastungen, die mit ihnen einhergehen – etwa das erhöhte Risiko für Stürze, Infektionen oder die negativen psychischen Folgen – sehr erstrebenswert ist.“ Als Einflussfaktoren für die im internationalen Vergleich als höher einzustufende Rate von Krankenhauseinweisungen benannte sie die Multimedikation der Betroffenen und die fehlende (Pflege)Koordination zwischen verschiedenen Leistungserbringenden. Köberlein-Neu hob zudem hervor, dass es für die Implementierung von Neuerungen generell essenziell sei, „dass wir den Kontext, in den implementiert werden soll, gut kennen und in der Lage sind, Fragen dazu zu beantworten, wie wir hierbei beteiligte Akteure zu einem Wandel im Allgemeinen und zur Einführung konkreter Implementierungen im Speziellen, befähigen können.“ Und schließlich forderte sie, dass die Fort- Aus- und Weiterbildung für Themen der Implementierungswissenschaft auf Praxisebene deutlich gestärkt werden sollte.
Der Vorstandsvorsitzende des veranstaltenden DNVF, Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann, geschäftsführender Direktor des Instituts für Community Medicine der Universitätsmedizin Greifswald, betonte die Verantwortung der Versorgungsforschung im Hinblick auf ein zukunftsfähiges und resilientes Gesundheitssystem: „Dabei geht es einerseits darum, evidenzbasierte Entscheidungen zu unterstützen und Strukturen eines lernenden Gesundheitssystems zu etablieren. Bisher dauert es oft deutlich zu lange, wirksame Maßnahmen aus der Forschung effizient in den Versorgungsalltag zu bringen – und gleichzeitig wenig nutzbringende abzubauen. Ein resilientes Gesundheitssystem muss neben medizinischen auch klinische, soziale, psychologische und ökonomische Aspekte beachten. Wir Versorgungsforschende sind uns bestehender Herausforderungen und kommender Krisen bewusst – denken wir etwa an den demographischen Wandel mit einer deutlichen Zunahme chronischer Erkrankungen, an den Fachkräftemangel, die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels und das Kostenmanagement in Zeiten begrenzter Ressourcen. Und auch ein nächstes Virus kommt bestimmt.“ Hoffmann benennt klare Ziele: „Wir müssen uns zur Bewältigung solcher Herausforderungen besser wappnen. Dazu bedarf es der Formulierung messbarer Ziele. Wir helfen, Stellschrauben zu identifizieren, an denen angesetzt werden kann, und unsere Forschungsergebnisse ermöglichen Weichenstellungen im System. Die Abkehr von einem ‚Weiter so‘ erfordert maximale Transparenz und eine Offenheit der beteiligten Akteure für Veränderungen.“
Prof. Dr. Thomas Kühlein ist Direktor des Allgemeinmedizinischen Instituts am Uniklinikum Erlangen. Sein Schwerpunkt in der Versorgungsforschung liegt auf der medizinischen Überversorgung hierzulande. Der neben seiner Lehr- und Forschungstätigkeit auch weiterhin praktizierende Hausarzt hält viele belegbare Beispiele bereit, in welchen Bereichen Überversorgung ein Thema ist. Und sagt: „Medizin ist etwas Gutes, zumindest gut gemeint. Es gibt jedoch ein ‚des Guten zuviel‘. Das Wesen der evidenzbasierten Medizin ist es, zu prüfen, ob das Gutgemeinte auch im Ergebnis ausreichend gut ist – auch angesichts des immer möglichen Schadens. Medizinische Verfahren, bei denen dies nicht der Fall ist, sollten abgeschafft – also deimplementiert – werden. Wie kann das in einer Welt, die sich Innovation und Fortschritt verschrieben hat, funktionieren? Anders ausgedrückt: Wie werden wir wieder los, was sich nicht bewährt hat?“ Nicht alle Adressaten seiner Botschaften und Forderungen teilen Kühleins Ansichten – insbesondere, wenn es um Themen wie Arthroskopien, Telemedizin, aktuell das „Gesundes-Herz-Gesetz“ oder auch um Krebsfrüherkennungsprogramme geht. Umso spannender wird die heutige 1. Plenarsitzung, in der er als Key Note Speaker auftritt.
Auch in der dritten Plenarsitzung am Freitag, den 27. September, wird das Thema Überversorgung bzw. wenig nutzbringende Versorgung noch einmal aufgegriffen. Hier mit dem Vortrag „How can we effectively reduce low-value care? Challenges and opportunities.“ von Simone van Dulmen, PhD, von der Radboud Universität Nijmegen.
Ziel des diesjährigen DKVF ist es, Lösungen dafür aufzuzeigen, wie Kompetenzen aus Versorgungsforschung und Implementierungswissenschaft stärker als bisher gebündelt werden können, damit sinnvolle Veränderungen im Versorgungsalltag sowie im Gesundheitssystem als Ganzem effizienter realisiert werden können – um den Nutzen für Patientinnen und Patienten zu verbessern.
Neben der inhaltlichen Breite der diesbezüglichen Beiträge kommen unterschiedliche Veranstaltungsformate zum Einsatz wie beispielsweise Plenarsitzungen, Symposien, Podiumsdiskussionen, Poster Sessions, State-of-the-Art Lectures, Debatten, interaktive Workshops sowie ein World Café und ein Science Slam. Ein weiteres Highlight ist der Kongresstag für Bürger:innen und Patient:innen am 26. September. Interessierte können daran nach Anmeldung kostenlos teilnehmen.
Ausgewählte Kongress Highlights:
Plenarsitzungen
Plenarsitzung 1, 25.09.2024, 10:30 - 12:00 Uhr
Kompetenzen aus Versorgungsforschung und Implementierungswissenschaft bündeln
Prof. Dr. phil. Lauren Clack (Universität Zürich): “Charting the Course: Navigating the Implementation Science Landscape”
Prof. Dr. med. Thomas Kühlein (Universität Erlangen): “Innovation and the problem that the better may be “the greatest enemy of the good” – How do we get rid of what is new but not better?”
Plenarsitzung 2, 26.09.2024, 13:15 - 14:45 Uhr
Versorgungsforschung methodisch erweitern, um mehr Akzeptanz für Veränderung zu schaffen
Diana Cürlis (Münster School of Design): „Social Design Research – methodische Erweiterung und Mehrwert im Kontext Versorgungsforschung?“
Prof. Dr. Silke Kuske (Fliedner Fachhochschule Düsseldorf): „Disziplinübergreifende Forschungsansätze: partizipative Evidenzgenerierung im Gefüge zukünftiger Versorgung, Implementierung und Dissemination“
Plenarsitzung 3, 27.09.2024, 13:15 - 14:45 Uhr
Durch systematische De-Implementierung Patientennutzen steigern
Thekla Brunkert (Universität Luzern): „Mind the gap - Innovative Versorgung implementieren“
Simone van Dulmen , PhD (Radboud Universität Nijmegen) : „How can we effectively reduce low-value care? Challenges and opportunities.“
Verleihung des Wilfried-Lorenz-Versorgungsforschungspreises 2024
Eröffnungsveranstaltung, 25.09.2024, 10:15 - 12:15 Uhr
Kongresstag für Bürger:innen und Patient:innen, 26.09.2024
Patientenflyer