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DGHO e.V.
Hämatologie und Medizinische Onkologie in der kommenden Dekade
Dass der medizinische Fortschritt neben der Bedeutung für die betroffenen Patientinnen und Patienten auch eine hohe gesellschaftliche und gesundheitspolitische Relevanz hat, mag auf den ersten Blick ein Allgemeinplatz sein, doch angesichts der rasanten Entwicklung in der Hämatologie und Medizinischen Onkologie wird die Überschneidung und die notwendige Kooperation beispielweise mit Akteuren aus der Gesundheitspolitik sehr deutlich. „Arzneimittel sind ein zentraler Bestandteil der Therapie in der Hämatologie und Medizinischen Onkologie. Etwa die Hälfte aller Medikamente, die seit 2011 von der Europäischen Arzneimittel-Agentur neu zugelassen wurden, gehören in unser Fachgebiet“, so Prof. Dr. med. Carsten Bokemeyer, der gemeinsam mit Prof. Dr. med. Claudia Baldus die diesjährige Kongresspräsidentschaft innehat und Direktor der II. Medizinischen Klinik und Poliklinik für Onkologie, Hämatologie, Knochenmarktransplantation mit Abteilung für Pneumologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf ist. „Diese Entwicklung ist für uns Ärztinnen und Ärzte sehr erfreulich, birgt aber auch neue gesundheitspolitische Herausforderungen“, unterstreicht Bokemeyer.
Fachgesellschaften: Integrale Rolle bei der Bewertung neuer Arzneimittel
So stellt sich zum Beispiel die Herausforderung, innovative Arzneimittel rasch in die breite Patientenversorgung zu bringen. In der Bundesrepublik Deutschland ist dabei das Verfahren der frühen Nutzenbewertung ein wichtiges Instrument. Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) wurde es im Jahr 2011 primär als Verfahren zur Preisfindung neuer Medikamente implementiert. Die Daten zeigen: Das AMNOG hat sich etabliert und trägt – auch im europäischen und internationalen Vergleich – dazu bei, dass Patientinnen und Patienten mit hämatologischen und onkologischen Erkrankungen zeitnah von Innovationen profitieren.
„Auch wenn die frühe Nutzenbewertung primär ein gesundheitspolitisches Instrument ist, hat sich die Einbindung der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften und damit die enge Kooperation von Wissenschaft und Gesundheitspolitik als sehr positiv erwiesen und wird weiter intensiviert. Als Fachgesellschaft tragen wir beispielweise mit den Stellungnahmen zur zweckmäßigen Vergleichstherapie dazu bei, die wissenschaftliche Evidenz für unser Fachgebiet in das Verfahren einzubringen“, so Prof. Dr. med. Hermann Einsele, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie und Direktor der Medizinischen Klinik II des Universitätsklinikums Würzburg.
Kontinuierliches Nachjustieren notwendig
Laut Einsele könnte sich das im letzten Jahr in Deutschland verabschiedete GKV-Finanzstabilisierungsgesetz mit seinem Einfluss auf das Verfahren der frühen Nutzenbewertung aber auch negativ auswirken, beispielsweise auf die zeitnahe Verfügbarkeit neuer innovativer Substanzen für Patientinnen und Patienten. „Wir hatten seinerzeit in der Kommentierungsphase des Gesetzentwurfes mit weiteren wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften darauf hingewiesen, dass sich die bereits bestehende Schieflage bei der Entwicklung neuer Arzneimittel noch verstärken könnte. Daher haben wir unter anderem die stärkere Berücksichtigung von Parametern wie Patient-Reported Outcomes und Lebensqualität angeregt und darüber hinaus für die Etablierung einer zusätzlichen, späteren Nutzenbewertung plädiert. Eine solche Nutzenbewertung hat aufgrund umfangreicherer Daten und längerer Nachbeobachtungszeiten eine höhere Wahrscheinlichkeit, den ‚wahren‘ Wert eines Arzneimittels zu erfassen“, betont der Geschäftsführende Vorsitzende der DGHO.
Frühe Nutzenbewertung wird europäisch
Ab 2025 soll die Bewertung in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zentral in einem ‚Joint Clinical Assessment (JCA)‘ durchgeführt werden. Dieser Bericht ist die Grundlage für das anschließende nationale ‚Appraisal‘. Hier sollen nationale Besonderheiten wie bspw. Regelungen zu Subgruppen berücksichtigt werden. Die Onkologie wird im Rahmen des europäischen Verfahrens das ‚erste Modell‘ sein. Ab 2028 werden dann mit den Orphan Drugs die Arzneimittel zur Behandlung seltener Erkrankungen folgen. „Die nationalen wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften stehen vor der Herausforderung, auf europäischer Ebene noch enger zusammenzuarbeiten, um das ‚JCA‘ kompetent und zeitgerecht mitzugestalten. Dies wird eine große gemeinschaftliche Aufgabe der nächsten Jahre und Jahrzehnte sein – auch mit Blick auf die nationalen Besonderheiten der Gesundheitssysteme, der beteiligten Institutionen, der Versorgungsstrukturen, der Bewertungsstandards, der Anforderungen an klinische Studien, der von den zuständigen Ethikkommissionen geforderten Auflagen bis hin zur mitunter nicht zu Unrecht kritisierten sehr komplexen europäischen Bürokratie“, so Prof. Dr. med. Andreas Hochhaus, Vorsitzender der DGHO und Direktor der Abteilung Hämatologie und Internistische Onkologie am Universitätsklinikum Jena.
Jahrestagung 2023: Kooperation ganz konkret
In diesem Zusammenhang verweist Bokemeyer auf das wissenschaftliche Symposium ‚New Drugs in Hematology and Oncology‘, das gemeinsam mit der European Hematology Association (EHA) und der European Society for Medical Oncology (ESMO) am Sonntag, 15. Oktober 2023, veranstaltet wird. „Hier werden wir beispielsweise die zukünftige Rolle der europäischen wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften oder die Bedeutung der ESMO Magnitude of Clinical Benefit Scale für die Entwicklung von Leitlinien diskutieren“, erläutert der Kongresspräsident.
„Darüber hinaus muss bei der Zulassung neuer Arzneimittel durch die Europäische Arzneimittel-Agentur die zunehmende Relevanz der personalisierten Medizin mit Identifikation kleiner Indikationen berücksichtigt werden. Dies zwingt die beteiligten Akteure zur Anpassung der Bewertungsmethodik und zur Integration von Daten aus der Patientenversorgung“, ergänzt Prof. Dr. med. Claudia Baldus, die gemeinsam mit Bokemeyer die diesjährige Kongresspräsidentschaft innehat und Direktorin der Klinik für Innere Medizin II mit den Schwerpunkten Hämatologie und Onkologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, ist
Vom Großen ins Kleine
Dass sich beispielsweise bei der Diagnostik und Therapie von soliden Tumoren besondere Herausforderungen stellen, verdeutlicht Prof. Dr. med. Ewald Wöll, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (OeGHO) und Ärztlicher Direktor/Ärztlicher Leiter Innere Medizin des Krankenhauses St. Vincenz in Zams: „Lungenkrebs ist heute nicht mehr ‚einfach‘ Lungenkrebs. Wir kennen bereits jetzt eine Vielzahl genetischer Subtypen, wie beispielsweise die EGFR-Mutation, die ALK-Translokationen, die R0S1-Translokationen oder die BRAF-V600-Mutationen.“ Mit Blick auf den Einsatz von innovativen Arzneimitteln mache daher das Prinzip ‚mit Kanonen auf Spatzen schießen‘ therapeutisch wenig Sinn. Vielmehr biete zum Beispiel die molekular stratifizierte Therapie die Chance, ganz spezifisch wirksame Medikamente einzusetzen. „Diese Chance ist aber gleichsam Herausforderung, denn wir haben es nicht mehr mit der ‚einen Entität‘, sondern einer wachsenden Anzahl von genetischen Subtypen und kleineren Patientengruppen zu tun. Das müssen wir bei der Konzeption und Durchführung von klinischen Studien berücksichtigen. Hier ist die internationale Kooperation beim Einschluss von Patientinnen und Patienten in klinische Studien von besonderer Relevanz“, so Wöll weiter.
Ausblick: Jahrestagung 2024
Mit Blick auf die Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie 2024 in Basel betont Prof. Dr. med. Anne Angelillo-Scherrer, Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Hämatologie und Co-Kongresspräsidentin im kommenden Jahr: „Die enge Kooperation, die im Programm des diesjährigen Kongresses deutlich wird, ist auch für die Schweiz von großer Bedeutung. So sind wir schon heute eng in das Onkopedia-Projekt eingebunden und erarbeiten und aktualisieren in kurzen Zyklen gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland und Österreich Therapie-Algorithmen, um den aktuellen Stand des medizinischen Wissens bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit hämatologischen und onkologischen Erkrankungen abzubilden.“
Informationen unter: https://www.jahrestagung-haematologie-onkologie.com/