- Personalien [+]
Prof. Otmar Wiestler im Interview
Innovationen werden nicht an Kosten scheitern
Über welche Erfolge bei der Behandlung von Krebspatienten haben Sie sich persönlich zuletzt gefreut?
Prof. Dr. Dr. Otmar D. Wiestler: Das sind vor allem zwei Gebiete, die in den letzten fünf Jahren enorme Fortschritte gemacht haben: Zum einen sind wir dabei, die Krebsbehandlung wirklich zu personalisieren. Da wir das Erbgut von Tumoren komplett lesen können, erhalten wir bei vielen Patienten erstmals gezielte Hinweise auf die biologische Natur ihrer Erkrankung. Das ist ein entscheidender Schritt zu wirklich individualisierter Medizin. Ein zweites sehr erfolgversprechendes Gebiet ist die Immuntherapie. Seit Jahrzehnten haben Wissenschaftler davon geträumt, das körpereigene Abwehrsystem gegen den Krebs zu lenken. Aber wir haben lange nicht verstanden, warum das Immunsystem ausgerechnet bei Krebs versagt. Jetzt wissen wir, dass der Tumor aktiv die Immunzellen blockiert. Und seit kurzem gibt es erste Wirkstoffe, die in Studien erfolgreich den Immunblock der Krebszellen abbauen.
Heißt das, wir dürfen von einer Impfung gegen Krebs träumen?
Wiestler: Bislang sind Impfstoffe insbesondere zur Vorbeugung erfolgreich. Wie Sie wissen, gibt es bereits die Impfung gegen den Gebärmutterhalskrebs, der von Viren verursacht wird. Die Forschung hat nun auch damit angefangen, Impfstoffe zu entwickeln, die individuell bei Patienten greifen, weil sie eine Immunantwort gegen die individuellen Krebszellen des Patienten hervorrufen. Von einer solchen Impfung, sind wir noch weit entfernt. Es wird allerdings intensiv daran gearbeitet. Die Impfung verspricht auch in Verbindung mit Wirkstoffen gegen den Immunblock neue Möglichkeiten. Aber klar ist: Die Immuntherapie ist die wirklich große Innovation in der Krebsmedizin in den letzten 15 Jahren. Diese Ansätze packen den Krebs wirklich bei der Wurzel.
Die Immuntherapie ist wegen ihrer hohen Kosten nicht unumstritten. Kann die Kostendiskussion zur Blockade für neue Durchbrüche werden?
Wiestler: Ich habe in vielen Ländern der Welt gearbeitet und nirgendwo ein Gesundheitssystem gesehen, das so leistungsfähig ist, wie das deutsche. Wenn es um wirkliche Innovationen geht, werden diese sicher nicht an den Kosten scheitern.
Was ist das große Ziel der Krebsforschung für die nächsten Jahre?
Wiestler: Wir wollen eine langfristige Kontrolle der bösartigen Krebserkrankungen erreichen, ähnlich wie dies bei der HIV-Infektion gelungen ist. In den nächsten 15 bis 20 Jahren wird es darum gehen, aus der tödlichen Krankheit Krebs eine chronische Krankheit zu machen.
Welchen Weg muss die Forschung dafür einschlagen?
Wiestler: Zwei große Richtungen sind nötig. Bei allen Erkrankungen, die wir diagnostizieren - und oft spät diagnostizieren - geht es um eine Verbesserung des Therapiearsenals. Wir brauchen einen intelligenten Mix aus traditionellen und neuen Therapien, um die Patienten individuell zu behandeln. Früherkennung und Prävention muss der zweite große Schwerpunkt sein: Wir müssen den Weg hin zu einer früheren Diagnose finden, um die Behandlungschancen zu verbessern. Das Beispiel der Darmkrebsvorsorge zeigt, dass die Instrumente da sind - allerdings machen nur 15 Prozent der Menschen, die dafür in Frage kommen, von diesem wichtigen Angebot Gebrauch. Die Impfung gegen Humane Papillomviren, die Gebärmutterhalskrebs verursachen können, ist ein weiteres Beispiel, bei dem das Potenzial nicht ausgeschöpft wird.
Muss sich auch die Pharmaindustrie stärker an der Grundlagenforschung beteiligen, damit neue Therapien entwickelt werden können?
Wiestler: Die Grundlagenforschung, also das Verstehen der Krankheit, ist eine akademische Domäne, das sollen die Unternehmen gar nicht zwingend leisten. Die Herausforderung ist, die Lücke zwischen der Grundlagenforschung und der Industrie besser zu schließen. Gute Ansätze müssen auch in neuen Therapeutika und Diagnostika zum Einsatz kommen - das funktioniert zu häufig noch nicht schnell genug. Die Partner aus der Forschung und aus der Industrie müssen sich dazu aufeinander zu bewegen und genau das geschieht aktuell. Es gibt gute Allianzen und eine gute neue Kommunikation mit der Pharmaindustrie. Klar ist: Wir benötigen stabile Kooperationen mit industriellen Partnern, um unsere Erkenntnisse zu verwerten, denn die Wissenschaftler am DKFZ sind Forscher, keine Anwender.
Jenseits der Durchbruchsinnovationen kommen kontinuierlich neue Onkologika auf den Markt. Ist das fehlgeleitete Energie oder eine nutzbringende Entwicklung?
Wiestler: Wir brauchen für jeden Patienten künftig einen individuellen Mix von Therapien, da geht es nicht nur um neue Ansätze. Solange die Industrie bei traditionellen Verfahren echte Innovationen erzielt, also zum Beispiel in der Darreichungsform von Spritzen auf Tabletten umsteigt, die Nebenwirkungen abschwächt, das Wirkungsspektrum oder die Leistungsfähigkeit erhöht, ist das wichtig. Es dürfen natürlich keine Scheininnovationen sein. Im onkologischen Bereich sehe ich da kein grundlegendes Problem.
An einer Innovationsmüdigkeit leidet Deutschland zumindest im Bereich Onkologie also nicht?
Wiestler: Ich wüsste nicht, wie sich ein solcher Vorwurf begründen ließe. Es gibt kein Gebiet, in dem es so viele Innovationen gibt, wie in der Onkologie. Die onkologische Forschung der letzten Jahrzehnte ist ganz klar eine Erfolgsgeschichte.