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Prof. Harald zur Hausen
Nobelpreisträger vermutet Viren im Rindfleisch als Auslöser von Darmkrebs
Anlass für die Suche nach einem „Rinderfaktor“ sei die geografische Verbreitung von Krebserkrankungen des Dickdarms gewesen, sagt Professor zur Hausen. Der Tumor sei in Nordamerika und Eurasien und überall dort verbreitet, wo das Fleisch europäischer Rinderrassen verzehrt wird. Besonders aufschlussreich ist für den Forscher die Entwicklung in der Mongolei, Indien, Japan und Korea. In der Mongolei sei Darmkrebs sehr selten gewesen, solange die Bevölkerung sich von Yak-Fleisch, einer winterharten Rinderart, ernährt habe. Erst in den letzten Jahren seien auch andere Rinder eingeführt worden. Professor zur Hausen: „Jetzt steigt die Krebsrate langsam an.“
In Indien, wo grundsätzlich kein Rindfleisch gegessen wird, sei die Krebsrate weiter sehr niedrig. In Japan und Korea war Darmkrebs ebenfalls lange sehr selten. Erst nach dem 2. Weltkrieg kam es zu einem Anstieg. Professor zur Hausen sieht einen möglichen Zusammenhang mit einer kulinarischen Vorliebe der Bevölkerung der beiden Länder für rohes und halbgegartes Fleisch. In Japan sei zum Beispiel Shabu shabu, ein Brühfondue mit nur kurz gegarten Rindfleischscheiben, sehr beliebt. In Korea gebe es ein völlig rohes Tartar-Gericht. „All das hat uns zur Theorie verleitet, dass es einen spezifischen Rinderfaktor gibt – und zwar in europäischen Rindern, die sich vom Auerochsen ableiten“, erklärt Professor zur Hausen.
Der Verdacht fiel auf das sogenannte TT-Virus, das erst Ende der 1990er-Jahre entdeckt wurde. Untersuchungen haben das Virus in fast allen Dickdarmkrebsen nachgewiesen, berichtet Professor zu Hausen. Ein Beweis ist dies freilich nicht, da auch viele gesunde Menschen mit dem TT-Virus infiziert sind. Forscher am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, dessen Vorstandsvorsitzender Professor zur Hausen lange Jahre war, haben sich jedoch auf die Suche nach TT-Viren bei Rindern gemacht. In deren Blut konnten sie tatsächlich eine Reihe von Virusgenen nachweisen. „Die Viren sind in gewisser Hinsicht den TT-Viren ähnlich“, so der Experte. „Leider kann ich noch nichts dazu sagen, ob sie eine Rolle spielen oder nicht.“
Der Rinderfaktor bleibt deshalb eine „Arbeitshypothese“ oder auch ein „spezifischer Rinderfaktor“. Dass der Verzehr von Rindfleisch einen Einfluss auf das Darmkrebsrisiko hat, ist laut Professor zur Hausen durch mehr als 100 epidemiologische Studien belegt: Das Darmkrebsrisiko steige um 20 bis 30 Prozent, wenn man über längere Zeiträume mehr rotes Fleisch und „processed meat“ isst. Unter „processed meat“ versteht man luftgetrocknetes oder geräuchertes Fleisch und Wurstwaren, die vor dem Verzehr keinen hohen Temperaturen ausgesetzt waren.
Selbst wenn sich die Hypothese eines Tages bestätigen sollte, müsste dies nicht gleichzeitig das Ende der Rinderzucht bedeuten. Professor zur Hausen: „Mein Traum wäre, die Rinder zu impfen und damit den Dickdarmkrebs hoffentlich beim Menschen zu reduzieren.“ Es wäre nicht die erste Impfung, die Krebs verhindert. Seit längerem gibt es Impfstoffe gegen das Hepatitis B-Virus, das Leberkrebs verursachen kann. Vor einigen Jahren wurden auch Impfstoffe gegen humane Papillomaviren eingeführt. Für die Entdeckung, dass diese Viren Gebärmutterhalskrebs verursachen, hat Professor zur Hausen 2008 den Medizinnobelpreis erhalten.
M. Schenk:
Interview mit Professor Dr. Dr. Harald zur Hausen:
Infektionen und Krebs: Viren als Auslöser von Darmkrebs?
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2014; 139 (15); S. 761-763