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Annette Kleine
„Zeit ist das Kapital, das ich mitbringe“
Wie es einer Patientin oder einem Patienten geht, hängt nicht nur mit der körperlichen Verfassung zusammen: Um eine Krankheit, Schmerzen oder körperliche Beeinträchtigungen zu bewältigen, brauchen Patientinnen und Patienten neben der Kompetenz von Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften und Therapeuten auch Zuwendung für die Seele. In der ganzheitlichen Betreuung von kranken und pflegebedürftigen Menschen im Krankenhaus spielt deshalb auch die Seelsorge eine wichtige Rolle. Seit dem 18. Juli ist mit Annette Kleine nun eine neue Krankenhausseelsorgerin im Klinikum Gütersloh und im Sankt Elisabeth Hospital tätig, die im Interview über ihre neue Stelle und ihre Aufgabe im Klinikalltag spricht.
Frau Kleine, in den letzten 20 Jahren waren Sie als Gemeindepfarrerin in der Evangelischen Kirchengemeinde Ummeln tätig. Was hat Sie bewogen, den Schritt von der Pfarr- in die Klinikseelsorge zu gehen?
Mich hat es sehr gereizt, konzentriert das zu tun, was mir immer wichtig war: der unmittelbare Kontakt zu Menschen. Die Verwaltungsaufgaben in einer Gemeinde sind zwar interessant, führen aber dazu, dass man nicht so viel Zeit mit den Gemeindemitgliedern verbringen kann, wie man gerne möchte. Ich erhoffe mir, dass ich mir hier mehr Zeit für Gespräche nehmen und Unterstützung im Umgang mit neuen Lebensumständen und schwerer Krankheit geben kann.
An welchen Stellen können Sie Patientinnen und Patienten neben der rein medizinischen Behandlung helfen? Was kann Seelsorge beitragen im Klinikalltag?
Ein Krankenhausaufenthalt ist eine außergewöhnliche Situation. Betroffene werden herausgerissen aus ihrer üblichen Routine. Nicht selten können in solch einer Lage Gedanken hochkommen, die sonst im Alltag unter der Oberfläche bleiben und die als belastend empfunden werden. Fragen und Sorgen tauchen auf: Wie geht es weiter? Was kommt auf mich zu? Werde ich gesund? Auch Angehörige haben Sorgen und vielleicht Schwierigkeiten, die Diagnose eines geliebten Menschen anzunehmen. Als Krankenhausseelsorgerin habe ich vor allem ein offenes Ohr für das, was den Menschen auf dem Herzen liegt. Manchmal ist es schon entlastend, wenn jemand zuhört, so dass Wege aus der Krise gefunden werden. Zeit ist das Kapital, das ich den Menschen hier mitbringe.
Ist Glaube oder Religiosität eine Voraussetzung für Ihren Besuch bei den Patienten?
Nein. Wer mit mir Kontakt aufnehmen möchte, dem oder der bin ich eine Gesprächspartnerin, egal welche Konfession oder Weltanschauung. Mein katholischer Kollege Pfarrer Rüdiger Helldörfer, der seinen Schwerpunkt im Sankt Elisabeth Hospital hat, ist auch für die Patientinnen und Patienten im Klinikum Gütersloh zu erreichen und ich umgekehrt auch für die Menschen im Nachbarkrankenhaus, gleichwohl mein Schwerpunkt im Klinikum ist. Aber auch, wer keine oder eine andere Religionszugehörigkeit hat, kann sich selbstverständlich an uns wenden.
Wie haben Sie sich auf die neue Aufgabe vorbereitet?
Vor meiner Tätigkeit in Ummeln war ich 10 Jahre lang im evangelischen Johanneswerk Bielefeld und habe dort bereits Erfahrungen in der Seelsorge im Krankenhaus und in der Altenarbeit gemacht. Dort habe ich auch eine klinische Seelsorgeausbildung sowie weitere Fortbildungen in diesem Themenfeld abgeschlossen. Darüber hinaus habe ich nach meinem Studium der evangelischen Theologie und vor dem Start des Vikariats im Städtischen Klinikum Bielefeld in der Wäscherei gearbeitet – es kann sicherlich nicht schaden, einen Krankenhausbetrieb an solch einer Stelle einmal kennengelernt zu haben. In den nächsten Monaten werde ich mich zudem noch in den Bereichen Ethik im Krankenhaus und in der Psychotraumatologie weiterbilden.
Was glauben Sie, wie Ihr Arbeitsalltag aussehen wird?
Die Zusammenarbeit mit allen Berufsgruppen ist mir wichtig. Die Seelsorge unterstützt die medizinische, therapeutische und soziale Arbeit im Krankenhaus, sie ist ein Glied in der Kette. Deshalb werde ich erst einmal viel im Haus unterwegs sein und meine neuen Kolleginnen und Kollegen sowie die Abläufe kennenlernen. Ich bin Montag bis Freitag zu verlässlichen Zeiten vor Ort, habe aber auch ein Diensthandy, über das sich das Personal in Notsituationen auch außerhalb der üblichen Dienstzeiten an mich wenden kann – zum Beispiel, wenn eine Begleitung am Wochenende wichtig ist oder auch, wenn eine Aussegnung in der Nacht gewünscht wird. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie gut es tun kann, wenn jemand da ist, der oder die solch eine Situation gemeinsam mit den Betroffenen aushält. Natürlich ist kein Mensch immer erreichbar. Aber wenn es geht und ich kann, will ich gerne helfen.
Wie gehen Sie damit um, wenn Sie den ganzen Tag schwere Lebens- und Leidensgeschichten hören? Wie können Sie vermeiden, das mit nach Hause zu nehmen?
Ich bin seit 30 Jahren Pfarrerin. Es gehört zur Berufserfahrung dazu, diese Geschichten so gut es geht am Arbeitsort zu lassen. Das klappt aber natürlich nicht immer. Um dennoch genug Kraft zu haben und selbst gesund zu bleiben, hilft mir unter anderem mein Hund und viel Bewegung an der frischen Luft. So kann ich wieder auftanken für den nächsten Tag.