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ARD-Kontraste
Lauterbach und GKV-Spitzenverband: Preisexplosionen bei Alt-Medikamenten stoppen
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und die gesetzlichen Krankenkassen wollen Pharmakonzernen Möglichkeit zur freien Preisbildung nehmen, wenn altbekannte Wirkstoffe für neue Krankheitsbilder eingesetzt werden. Andres als bei Neuzulassungen gibt es bei Alt-Wirkstoffen mit neuen Anwendungsgebieten keine Preisverhandlungen. Diese Regelung setze "vollkommen falsche Anreize und lenkt die Forschung in das Recyceln von alten Produkten, die dann teurer neu auf den Markt kommen", sagte Lauterbach dem ARD-Magazin "Kontraste". Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) forderte, die sogenannte Nutzenbewertung künftig auf alte Wirkstoffe auszudrehen.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung hatte 2010 bereits engere Spielregeln für neue Medikamente eingeführt. Das Gesetz sieht unter anderem Preisverhandlungen der Pharmakonzerne mit den Krankenkassen vor. Diese Regelung lässt allerdings Wirkstoffe außen vor, die vor 2011 auf den Markt kamen. Der Koalitionsvertrag von Union und SPD für eine künftige Große Koalition stellt zwar in Aussicht, das Gesetz noch einmal zu verschärfen - doch auch dann sollen weiter Mittel ausgenommen bleiben, die vor dem 1. Januar 2011 auf den Markt kamen.
Ausgelöst wurde die Diskussion durch die Sanofi-Tochter Genzyme. Sie platzierte im Herbst dieses Jahres den bei Leukämie seit Jahren eingesetzten Wirkstoff Alemtuzumab nach einer vorangegangenen Marktrücknahme neu als Medikament gegen Multiple Sklerose. Mit der Wiedereinführung stieg der Preis pro Milligramm um das 40-fache. Zuvor war er jahrelang unter dem Produktnamen MabCampath für Leukämie-Patienten zugelassen. Seit September wird der Wirkstoff nun unter dem Produktnamen Lemtrada zur Behandlung von Multipler Sklerose vertrieben. Ein Milligramm des Wirkstoffs kostet seitdem statt der ursprünglichen 21 nun 887 Euro. "Wenn wir diese Lücke nicht schließen, würden auch andere Unternehmen das für andere Wirkstoffe machen. Das ist abzusehen", mahnte SPD-Politiker Lauterbach.
Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) kritisierte die Praxis von Sanofi, die Zulassung für Alemtuzumab für die Behandlung von Leukämie zurückgenommen zu haben. "Da der Unternehmer die aktuelle Entscheidung aus wirtschaftlichen Gründen getroffen hat, kann man sie grundlegend verurteilen. Denn es waren keineswegs Bedenken zur Wirksamkeit oder Sicherheit des Arzneimittels, die diese Entscheidung begründeten", sagte eine GKV-Sprecherin der ARD. "Der Unternehmer nimmt damit in Kauf, dass die Versorgung von Krebskranken eingeschränkt wird und entzieht sich seiner Verantwortung für eine adäquate Versorgung der betroffenen Patientinnen und Patienten."
Auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft verurteilte den Preissprung. Ihr Vorsitzender Wolf-Dieter Ludwig sagte: "Dieses Arzneimittel wird seit Mitte der Neunziger Jahre in der Klinik erforscht. Die Entwicklungskosten für dieses Arzneimittel, auch die Kosten für die klinischen Studien, rechtfertigen diesen hohen Preis nicht. Ich glaube, es ist eindeutig das Profitstreben des pharmazeutischen Unternehmens und die Lukrativität des Marktes."