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IQWIG
Sichere Arzneimittel-Beurteilung nur auf Basis von Studienberichten möglich
Bereits 2012 hatten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im British Medical Journal eine Auswertung der Informationsquellen von 16 Nutzenbewertungen vorgelegt, die klar belegte: Öffentliche Quellen wie Artikel in Fachzeitschriften und Einträge in Studienregistern enthalten bei weitem nicht so viele Informationen über Studienmethodik und Studienergebnisse wie die nichtöffentlichen klinischen Studienberichte der pharmazeutischen Unternehmen. In der Zeitschrift PLOS Medicine zeigen die IQWiG-Wissenschaftler nun: Wenn man statt ausgewählter Endpunkte, wie in der ersten Analyse, alle patientenrelevanten Endpunkte aus den Studien betrachtet, ist das Informationsdefizit in den veröffentlichten Quellen sogar noch größer.
Daten zu gut 1000 Endpunkten ausgewertet
Basis für die neue Auswertung waren wiederum alle 2006 bis 2011 im IQWiG abgeschlossenen Nutzenbewertungen. Von den darin untersuchten Studien wurden all diejenigen einbezogen, zu denen die Unternehmen dem Institut vollständige Studienberichte zur Verfügung gestellt hatten. Zu 86 dieser 101 Studien fanden die Forscherinnen und Forscher auch öffentlich zugängliche Angaben in Fachzeitschriften oder Studienregistern, sodass sie den Informationsgehalt vergleichen konnten. Diese Studien enthielten Daten zu gut 1000 patientenrelevanten Endpunkten, also beispielsweise den Krankheitssymptomen oder der Sterblichkeit.
Gewaltiges Informationsgefälle
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler prüften, ob die Studienresultate zu diesen Endpunkten in den Quellen „vollständig“ oder eben „nicht vollständig“ dokumentiert waren. Das Informationsgefälle war immens: Während in den unveröffentlichten Studienberichten 86 Prozent aller Ergebnisse vollständig beschrieben wurden, waren es in allen allgemein zugänglichen Quellen zusammen nur 39 Prozent. Auch negative Auswirkungen auf die Patientinnen und Patienten wie schwere unerwünschte Ereignisse oder Behandlungsabbrüche wurden in den Veröffentlichungen wesentlich seltener dokumentiert als in den Studienberichten (27 bis 72 Prozent im Vergleich zu 84 bis 92 Prozent, je nach Schadenskategorie).
Vollständige Studienberichte öffentlich machen
„Die öffentlich verfügbaren Artikel und Registereinträge dokumentieren also weniger als die Hälfte der Studienergebnisse umfassend. Gleichzeitig gibt es mit den Studienberichten Dokumente, die vollständig über die Studienmethodik und die Studienergebnisse Aufschluss geben. Die Folgerung kann nur lauten: Alle Studienberichte müssen öffentlich zugänglich gemacht werden“, kommentiert die Leiterin des Ressorts Arzneimittelbewertung, Beate Wieseler, diese wohl erste umfassende Quantifizierung des Informationsgewinns durch vollständige Studienberichte. „Man muss bedenken, dass das IQWiG aufgrund seines Auftrags zur Nutzenbewertung schon in einer privilegierten Lage ist: Andere Forscher und Ärzte, die sich gründlich über die Vor- und Nachteile einer Intervention informieren wollen, kommen noch schlechter an die Daten.“
Zwar steige in den letzten Jahren der Anteil der klinischen Studien, zu denen Fachaufsätze oder Studienregistereinträge veröffentlicht werden, aber das gehe leider nicht mit einer vollständigeren Dokumentation der patientenrelevanten Ergebnisse einher. „Die Informationslücken sind unverändert groß“, so Wieseler. „Und wie groß sie bei anderen Formen von Arzneimittelstudien oder bei Studien über nichtmedikamentöse Verfahren sind, können wir mangels Daten nicht einmal erahnen.“
Jetzt ist der Gesetzgeber gefragt
Das Vorhaben der European Medicines Agency (EMA), ab Januar 2014 alle zur Zulassung eingereichten klinischen Studiendaten öffentlich zugänglich zu machen, könne daher auch nur ein erster Schritt sein: „Nötig wäre eine zentrale Sammelstelle auch für Daten aus älteren klinischen Studien, denn in denen geht es um Arzneimittel, die heute in der breiten Anwendung sind. Vermutlich würden diese Daten ein ganz neues Licht auf etliche Medikamente und ihre Position im jeweiligen Indikationsbereich werfen. Aber mit einer ‚freiwilligen Selbstverpflichtung‘ der Industrie, die gerne ‚von Fall zu Fall‘ entscheiden will, was sie preis gibt, ist es nicht getan. Wir hoffen auf den Gesetzgeber – und unterstützen weiter die All-Trials-Kampagne, damit das Problem auf der Agenda bleibt.“