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European Health Forum Gastein
"Überlebenskampf" der sozialen Krankenversicherungen

Die Gegenstrategie der Sozialversicherungs-Experten: Die EU-Staaten sollten sich über ‚best practices’ austauschen und wo immer möglich die Effizienz steigern.
Bad Hofgastein, 3. Oktober 2014 – Einige europäische Gesundheitssysteme „kämpfen ums nackte Überleben“, sagte Dr. Franz Terwey, Präsident der ‚European Social Insurance Platform’ (ESIP, das Forum der europäischen Sozialversicherungen) auf dem European Health Forum Gastein (EHFG). Der Befund kommt wenig überraschend: Die Schuldenkrise ist noch lange nicht ausgestanden und leere öffentliche Kassen sowie das stagnierende – oder sogar zurückgehende – Wachstum führen zu verminderten öffentlichen Einnahmen, mit „dramatischen Auswirkungen“ auf die Gesundheitssysteme. Eine Folge davon: medizinische Fachkräfte kündigen oder werden entlassen, was zu Lücken in der Versorgungsstruktur führt, „die möglicherweise nicht wieder gefüllt werden können“, zeichnete Dr. Terwey ein wenig positives Bild.
Förderung des grenzüberschreitenden Austausches
„Ein guter erster Schritt zur Stärkung der Systeme wäre es, alle denkbaren Effizienz-Potenziale zu nutzen“, so der Experte. Die Fortsetzung der Schuldenpolitik könne möglicherweise kurzfristig funktionieren, würde die Systeme aber in nicht allzu ferner Zukunft vor noch viel schlimmere Probleme stellen, so der Experte. Die europäischen Gesundheitssysteme müssten, wo immer möglich, vor dem „stetig steigenden Einfluss der Binnenmarktvorschriften“ geschützt werden. „Unter keinen Umständen“ dürfe man zulassen, dass diese über Regelungen auf ganz anderer Ebene Schiedsgerichts-Mechanismen unterworfen werden, wie es die Industrie in den USA praktiziere, so Dr. Terwey. Über den Weg des aktuell verhandelten transatlantischen Handels- und Investitionsabkommens (TTIP) könnte dies aber durchaus drohen. Stattdessen sollten die Länder einander in der Form von grenzüberschreitendem Austausch unterstützen. Gelegentlich sei es wohl auch nötig, „die eigenen Regierungen daran zu erinnern, sich in angemessener Weise“ mit diesen Fragen zu beschäftigen, so Dr. Terwey.
Nationale versus EU-Kompetenz
Die „große Herausforderung“ für die gesetzlichen Krankenversicherungen in der EU sei es, „eine gesunde Grenze zwischen nationaler Kompetenz und EU-Kompetenz zu ziehen“, sagte Dr. Ewout van Ginneken von der Abteilung für Management im Gesundheitswesen am WHO Collaborating Centre for Health Systems in Berlin. „Unsere Systeme sind derzeit auf der Ebene der nationalstaatlichen Zuständigkeit verankert, doch das gilt immer weniger. Mehrere EU-Rechtsakte, zum Beispiel Vorschriften über die Koordinierung der sozialen Sicherheit oder die Richtlinie zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, lassen die Grenzen zwischen den beiden Kompetenzen verschwimmen.“
Für Dr. van Ginneken liegt ein Schlüssel zum EU-weiten Erhalt der bestehenden sozialen Krankenversicherungssysteme darin, einen Dialog zwischen „Zahlern“ von Gesundheitsleistungen, also den Sozialversicherungen, und den Anbietern, beispielsweise den Krankenhäusern, in Gang zu setzen, um gemeinsame Anliegen zu identifizieren. „Hier entstehen die Gesundheitskosten, und je effektiver das Management in diesem Bereich, desto besser lassen sich die Kosten kontrollieren.“ Regierungen aller EU-Länder sollten den Dialog mit den sozialen Krankenversicherungen aufnehmen schließlich stehe man vor ähnlichen Herausforderungen: Wie eine qualitative Gesundheitsversorgung zu einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis sichergestellt werden kann.
„Electing Health – The Europe We Want“ ist das Motto des diesjährigen EHFG. Rund 600 Teilnehmer/-innen aus mehr als 50 Ländern nutzen Europas wichtigste gesundheitspolitische Konferenz in Bad Hofgastein zum Meinungsaustausch über zentrale Fragen europäischer Gesundheitssysteme. Die zukünftige Richtung der europäischen Gesundheitspolitik ist das Schwerpunktthema des Kongresses.