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Wien
Das große Kribbeln - Gefahr Polyneuropathien

Erkrankungen des peripheren Nervensystems sind eine der Hauptursachen für die Einschränkung der Mobilität im Alter. Bei Nichtbehandlung der Polyneuropathien ist eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität und Beweglichkeit möglich. Besonders häufig sind Arme und Beine betroffen. Die Behandlung zielt idealerweise auf die Heilung oder ursächliche Therapie der Grunderkrankung ab.
Polyneuropathien (PNP) sind Erkrankungen der so genannten peripheren, also sensiblen und motorischen, Nerven. Sie machen sich durch verschiedene Störungen in Sensibilität und Motorik bemerkbar, oft begleitet von typischem Kribbeln, Missempfindungen (Nadelstiche, Brennen) und stechenden Schmerzen in Händen und Füßen. Rund 8 Prozent der Erwachsenen über 55 Jahren leiden an dieser Nervenkrankheit. Die Ursachen liegen meist in einer Grunderkrankung, deren Behandlung vorrangig ist. Rund 2-3 Prozent aller Menschen leiden im Laufe ihres Lebens an Polyneuropathie. „Besonders bei Patientinnen* und Patienten* mit einem Diabetes mellitus besteht ein deutlich erhöhtes Risiko. Etwa 40 Prozent der Erkrankten entwickeln im Laufe ihres Lebens eine Polyneuropathie“, erklärt Prim. Univ.-Prof. Dr. Wolf Müllbacher, Vorstand Neurologie im Göttlicher Heiland Krankenhaus. „Weitere Risikofaktoren sind Alkoholmissbrauch, Lebererkrankungen, Stoffwechselstörungen, Erkrankungen des Immunsystems oder Krebs. Bei einem Drittel der Erkrankten liegt eine genetische Vorbelastung zu Grunde.“
Erste Anzeichen beachten
Bei den ersten Krankheitsanzeichen sollte rasch ein*e Neurolog*in aufgesucht werden, damit rechtzeitig die Ursache erkannt und mit einer geeigneten Behandlung begonnen werden kann. Nach einer detaillierten Anamnese (Krankengeschichte) wird im ersten Schritt der komplette neurologische Status erhoben und festgestellt, ob sensible und motorische Störungen vorliegen. Typisch ist dabei die Überprüfung der Muskeleigenreflexe, der Kraft, der Sensibilität und das Kontrollieren des Gangbildes. Gesichts- oder Augenmuskellähmung sind selten und deuten auf die Beteiligung von Hirnnerven hin. „Die Patient*innen leiden oft an sogenannten neuropathischen Schmerzen, die als brennend, stechend ziehend, elektrisierend, kribbelnd oder nadelnd beschrieben werden“, erklärt Dr. Wolf Müllbacher. „Aus Scham oder Unwissenheit gehen sie leider oft erst sehr spät zu einem Arzt* oder einer Ärztin*. Je schneller die Grunderkrankung diagnostiziert ist und mit einer Behandlung begonnen wird, umso mehr kann für die*/den* Patientin*/Patienten* erreicht werden.“
Die klinische Untersuchung wird durch elektrophysiologische Messungen und Labortests ergänzt. In der erweiterten Diagnostik kann auch eine Lumbalpunktion und eine Nerven-Muskel-Biopsie durchgeführt werden.
Gezielte Behandlung der Grunderkrankung
Eine gezielte Behandlung ist nur dann möglich, wenn die Ursache der Polyneuropathie erkannt und behandelt wird. Bei Diabetiker*innen sollte der Blutzucker optimal eingestellt, bei Alkoholkranken der Konsum komplett vermieden, eine Borreliose mit Antibiotika behandelt oder bei Autoimmunerkrankungen eine immunmodulierende Therapie durchgeführt werden. Liegt der Polyneuropathie eine nicht behandelbare Erkrankung zugrunde oder lässt sich diese nicht entdecken, dann können nur die Symptome behandelt werden. Hier spielt vor allem die Schmerzlinderung eine wichtige Rolle. „In der Schmerztherapie zielen wir auf eine vollständige Schmerzreduktion ab, gelegentlich gelingt eine Reduktion aber leider nur unvollständig.. Wichtig ist es, die Schlaf- und Lebensqualität zu verbessern und soziale Aktivitäten und die Arbeitsfähigkeit zu erhalten“, so Dr. Müllbacher. „Heilgymnastik, Ergotherapie, Logopädie und eine psychotherapeutische Begleitung in Kombination mit den richtigen Medikamenten ermöglichen die Verbesserung der Lebensqualität.“
