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Uniklinikum Jena
Ein würdiges Leben für schwerkranke Kinder
Seit der Gründung im Oktober 2016 ist das Team, zu dem heute vier Ärzte und sieben Pflegekräfte, eine Koordinatorin und seit Kurzem auch eine psychosoziale Fachkraft zählen, stetig gewachsen. „Das zeigt, wie groß der Bedarf ist“, so Oberarzt Jens Kästner, der das Kinderpalliativteam am Universitätsklinikum Jena (UKJ) leitet. Es ist das einzige Angebot dieser Art in ganz Thüringen.
„Während bei der Palliativversorgung von Erwachsenen ein Großteil an einer Krebserkrankung leidet, sind es bei den Kindern nur etwa ein Drittel", erklärt Kästner. Das Erkrankungsspektrum ist hier viel breiter – von Stoffwechselleiden, Muskelerkrankungen, Hirnfehlbildungen bis zum Teil sehr seltenen syndromalen Erkrankungen. „Unsere Arbeit berührt daher sehr viele verschiedene Bereiche der Pädiatrie", sagt Kästner, der Patienten vom Säugling bis zum jungen Erwachsenen betreut. Bis einschließlich 27 Jahren – wenn es sich um eine Erkrankung aus dem Fachgebiet der Kinder- und Jugendmedizin handelt.
Wenn das Kinderpalliativteam im Einsatz ist, steht der Erhalt der Selbstbestimmung und einer bestmöglichen Lebensqualität der Patienten auch bei ungewisser Prognose im Vordergrund. Das Team begleitet die Patienten mit ihren Familien langfristig – manchmal bereits ab dem Zeitpunkt, zu dem die Erkrankung diagnostiziert wird. Kästner: „Bei der überwiegenden Anzahl unserer Patienten gelingt es, dass wir die Palliativversorgung nach Überwinden einer krisenhaften Verschlechterung pausieren können, bis unsere Betreuung erneut benötigt wird.“
Das Team macht sich morgens in Jena auf den Weg zu den Hausbesuchen. Im vollbepackten Kofferraum: ein Versorgungsrucksack, eine Kiste mit allen notwendigen Medikamenten und Materialien, Laptop und Drucker für die Dokumentation, aber auch eine „Trauerbox“ mit Farbe und Papier für Handabdrücke und einem Erinnerungslicht, das die Familien anzünden können. Und nicht zu vergessen: Schneeketten für die Fahrten in der kalten Jahreszeit durch den Thüringer Wald.
Bis zu 500 Kilometer legen sie an einem Tag zurück, um ein bis zwei Hausbesuche zu ermöglichen. Mehr als anderthalb Stunden dauert im Durchschnitt die komplexe Versorgung eines Kindes zu Hause. Die Ärzte und Pflegenden kümmern sich darum, leidvolle Symptome wie Unruhe- und Angstzustände, Schmerzen, Schlafstörungen oder Luftnot zu lindern. Aber auch den Eltern und Geschwistern widmen sie besondere Aufmerksamkeit: Sie anzuleiten und auf schwierige Situationen vorzubereiten, ist eine der Aufgaben des Kinderpalliativteams. „Wir erstellen individuelle Behandlungspläne und helfen den Familien, diese umzusetzen", so Kästner. „Außerdem bereiten wir sie darauf vor, welchen Verlauf die Erkrankung nehmen kann und wie sie Krisen vorbeugen.“ Neben den geplanten Hausbesuchen bietet das Palliativteam rund um die Uhr eine telefonische Rufbereitschaft an, so dass die Mitarbeiter in Krisen auch spontan vor Ort sein können.
Wenn eine Heilung der Erkrankung nicht mehr möglich ist, erscheint die Zeit zu Hause noch wertvoller. Das ambulante Kinderpalliativteam arbeitet eng mit den bereits betreuenden Kinder-, Hausärzten und Pflegediensten vor Ort zusammen – mit dem gemeinsamen Ziel, den Kindern ein würdiges Leben in ihrer vertrauten familiären Umgebung zu ermöglichen. So können sie den Familien ausreichend Sicherheit und Rückhalt geben. Das brauchen sie, um auch schwierige Krankheitsphasen ihrer Kinder bis zum Lebensende zu Hause bewältigen zu können.
Als nächstes Ziel hat sich Oberarzt Kästner gesetzt, auch die stationäre Palliativversorgung zu verbessern – mit einem Konzept für den Umgang mit kleinen Patienten, die in der Klinik in eine Palliativsituation kommen. Zum einen braucht es dafür speziell ausgebildetes Personal für die Arbeit auf den Stationen. Zum anderen eine adäquate Umgebung. Mit Unterstützung der Kinderhilfestiftung sollen jetzt zwei Räume in der Kinderklinik zu Kinderpalliativzimmern umgebaut werden. Großflächige Naturmotive an den Wänden, eine Videodecke, über die Polarlichter ziehen können, und beruhigende Klänge schaffen dann eine behagliche, geschützte Atmosphäre – sowohl für Säuglinge als auch für Jugendliche.
Zum Hintergrund: Seit 2007 besteht der gesetzliche Anspruch auf eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung – für Erwachsene und Kinder. Doch bis zum Herbst 2016 gab es für unheilbar kranke Kinder in Thüringen kein auf ihre besonderen Bedürfnisse abgestimmtes Betreuungsangebot. Das hat sich mit dem ambulanten Kinderpalliativteam aus Jena geändert.