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Universität Erlangen-Nürnberg
Erlanger „Tissue-Engineering-Therapie“ soll jetzt ausgeweitet werden
Die künstliche Gewebeanzüchtung (Tissue Engineering) im Patienten wurde am Uni-Klinikum Erlangen und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) in rund zehnjähriger experimenteller Forschung im Labor und in der klinischen Praxis entwickelt und erstmals über mehrere Jahre an zwei Patientinnen erfolgreich erprobt.
„Uns sind weltweit die ersten erfolgreichen Langzeitanwendungen von Methoden des Tissue Engineering zur Knochenwiederherstellung in komplexen Krankheitssituationen gelungen“, sagte Prof. Horch. Zu den ersten beiden Patientinnen, die mit dem neuen Verfahren therapiert wurden, gehört die 24-jährige Studentin Carina aus Würzburg. Vor rund fünf Jahren bekam sie aufgrund einer Entzündung eine schwere Knochenvereiterung. Die Ärzte entschieden sich, den Entzündungsherd operativ zu entfernen. Zurück blieb ein großer Gewebedefekt. Bislang werden derartige Schäden in den meisten Fällen mithilfe einer Eigengewebeverpflanzung behandelt: Dazu wird Gewebe an einem gesunden Körperabschnitt des Patienten entfernt und an der defekten Stelle wieder eingepflanzt. Der Nachteil daran: „Dieses Verfahren bringt Sekundärschäden mit sich und führt zur Verformung einer eigentlich gesunden Partie am Körper des Patienten“, erklärte Prof. Horch. Zusätzlich können die Behandelten unter Umständen an der Spenderstelle an Schmerzen oder Bewegungseinschränkungen leiden. Im Fall von Carina beschlossen die Ärzte, ein in solchen Fällen neues Verfahren anzuwenden: das Tissue Engineering. Diese Methode war ein Jahr zuvor erstmals in Erlangen an einer 33-jährigen Nürnbergerin durchgeführt worden, für die es nach einer schweren Unterschenkelverletzung nach einem Motorradunfall und zahlreichen Operationen in verschiedenen Kliniken praktisch keine andere Heilungsmöglichkeit mehr gegeben hatte. Davor war das Verfahren jahrelang im Labor erfolgreich erprobt worden.
Seit Langem hatten Wissenschaftler weltweit nach einer neuen Methode gesucht, die es ermöglicht, Eigengewebe – wie Knorpel-, Muskel- oder Hautgewebe – heranzuzüchten, um es danach zu implantieren. Einigen Forschern gelangen zwar spektakuläre Erfolge bei der Ver-pflanzung von künstlichem Gewebe, leider waren diese aber nicht von langer Dauer. „Das Problem war oft, dass das künstliche Gewebe nicht optimal durchblutet wurde und nach einigen Monaten abstarb“, erläuterte Prof. Horch. „Deshalb haben wir auch über sechs Jahre damit gewartet, bis wir den Erfolg unserer Methode jetzt öffentlich machen.“ Ausführlich vorgestellt wird die Erlanger Tissue-Engineering-Therapie in der Fachzeitschrift „Journal of Cellular and Molecular Medicine“ (Horch RE, Beier JP, Kneser U, Arkudas A. J Cell Mol Med. 2014 May 6).
Jahrelange interdisziplinäre Forschungsarbeiten waren notwendig
Die Erlanger Forschergruppe um Prof. Horch hatte ihr Tissue-Engineering-Verfahren zunächst jahrelang im Labor erforscht. Im Kleintiermodell der Ratte untersuchte das Team anhand einer sogenannten arteriovenösen Gefäßschleife (AV-Loop) die Gefäßneubildung unter anderem in Knochengerüsten. Dabei erwies sich eine selbst entwickelte 8 mm x 10 mm große perforierte Titankammer als äußerst hilfreich für die Gewebezüchtung. Sie war zusammen mit Materialwissenschaftlern der Technischen Fakultät der FAU Erlangen-Nürnberg konstruiert worden. „Mithilfe der neuartigen Titankammer – in die ein AV-Loop gelegt wurde – konnten wir erstmals zeigen, dass Gefäße, die von außen durch die Poren der Titankammer in das Gewebe einsprießen, Anschluss an die neu gebildeten Gefäße aus dem AV-Loop erhalten und unsere Methode tatsächlich funktioniert“, erläuterte Prof. Horch. Für ihre Pionierleistungen auf dem Weg zur Schaffung von dreidimensional durchbluteten künstlichen Geweben wurden die plastischen Chirurgen um Prof. Horch bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem erhielt PD Dr. Justus P. Beier aktuell den diesjährigen Wissenschaftspreis der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC).
Interdisziplinäre translationale Forschung hat in Erlangen hohen Stellenwert
Wichtig für den Erlanger Forschungserfolg war nach Ansicht von Prof. Horch die außergewöhnlich gute und effiziente Vernetzung innerhalb der FAU Erlangen-Nürnberg und auch mit anderen Universitäten in Bayern. „Dank der Emerging Fields Initiative der FAU wurde gerade diese besondere interdisziplinäre Vernetzung an den verschiedenen Standorten mit dem Projekt TopBioMat vorangetrieben“, betonte Prof. Horch. So hätten zahlreiche Wissenschaftler der Technischen Fakultät der FAU (Prof. Dr. Aldo R. Boccaccini, Prof. Dr. Ben Fabry, Prof. Dr. Peter Greil, Prof. Dr. Carolin Körner und Prof. Dr. Robert F. Singer) bei der Entwicklung von Kammersystemen und Biomaterialien für die Gewebezüchtung mitgewirkt. Die in Erlangen traditionell hochwertige Bildgebung bei der Darstellung der Durchblutungsveränderungen wurde gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Willi A. Kalender (Medizinische Physik) und PD Dr. Andreas Hess (Pharmakologie und Toxikologie) sowie Prof. Dr. Tobias Bäuerle (Radiologisches Institut) anhand spezieller neuer Methoden erarbeitet. Nach Ansicht von Prof. Horch sei die optimale Schnittstelle zwischen Forschung im Labor und Einführung eines Verfahrens in der Klinik (translationale Forschung) eine besondere Stärke des Standortes Erlangen. „Mit der Eröffnung des Translational Research Center (TRC) der Medizinischen Fakultät der FAU Erlangen-Nürnberg und des Universitätsklinikums Erlangen ergeben sich nun weitere spannende Möglichkeiten, um die Forschung mit direktem Nutzen für die Patienten voranzutreiben.“
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Dr. h. c. Raymund Horch
Tel.: 09131/85-33277
eMail: irma.goldberg@uk-erlangen.de