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Krebs 2018
Länger leben mit Lebensqualität
Insbesondere in fortgeschrittenen Krankheitsstadien steht für die Betroffenen auch die Frage im Raum, wie sich Krebserkrankung und Krebsbehandlung auf Alltag und Lebensqualität auswirken. Besser als mit gelegentlichen Fragebögen lässt sich diese individuelle Dimension der Krebserkrankung durch eine möglichst kontinuierliche, strukturierte Erhebung des Patient-Reported Outcome (PRO) bewerten. Die Perspektive verbreitert den Blickwinkel und kann sogar dazu beitragen, Leben zu verlängern. Im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie, die vom 28. September bis zum 2. Oktober 2018 in Wien stattfindet, widmet sich eine eigene Plenarsitzung diesem wichtigen Thema.
Große Fortschritte insbesondere bei der medikamentösen Behandlung haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Überlebenszeit bei einer Reihe von Blut- und Krebserkrankungen signifikant verlängert werden konnte. Besonders eindrucksvoll zeigt sich dieser Effekt bei den soliden Tumoren beispielsweise beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC), wo immunologische Medikamente wie Checkpoint-Inhibitoren und molekular zielgerichtete Therapien wie die Kinase-Inhibitoren die Prognose der Patientinnen und Patienten deutlich verbessert haben. „Immunologische und gezielte Tumortherapien sind innerhalb kurzer Zeit zu einem extrem wichtigen und für unsere Patientinnen und Patienten sehr wertvollen Instrument im medikamentösen Portfolio von Hämatologen und Medizinischen Onkologen geworden“, so Prof. Dr. med. Michael Hallek, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e. V. und Direktor der Klink I für Innere Medizin und des CIO Köln Bonn.
Die Perspektive des Patienten: Patient-Reported Outcome
Die kräftige Innovationswelle in der Hämatologie und Medizinischen Onkologie ist eine wichtige und gute Nachricht für Patientinnen und Patienten. Sie stellt die in der Behandlung Tätigen aber auch vor große Herausforderungen. So muss beispielsweise ein möglichst rascher Transfer neuer, innovativer Arzneimittel nach der Zulassung in die allgemeine Versorgung gewährleistet sein. Zudem wird es angesichts des breiter werdenden Therapiespektrums immer wichtiger, die individuelle Behandlungssituation der Patientinnen und Patienten möglichst genau zu erfassen. Nur so kann gewährleisten werden, dass jede Patientin und jeder Patient eine optimale Behandlung erhält, die sich auch – aber eben nicht nur – am Kriterium Überlebenszeit orientiert.
Ein wichtiges Beurteilungsinstrument ist dabei der Patient-Reported Outcome (PRO), dem im Rahmen der Jahrestagung eine eigene Plenarsitzung gewidmet wird. Unter „PRO“ werden Informationen über Symptome, über Stimmungen und über das Funktionieren im Alltag verstanden, die der Patient selbst äußert. Traditionell wurden diese Daten mit Hilfe von gelegentlichen Papierfragebögen ermittelt. Mittlerweile schaffen Digitalisierung und moderne Datenanalytik neue Möglichkeiten der kontinuierlichen und strukturierten Erfassung und zeitnahen Auswertung von PRO-Daten, die damit beispielsweise viel unmittelbarer für Versorgungsentscheidungen genutzt werden können. „Die Messung des Patient-Reported Outcome verbreitert unseren Blickwinkel auf unsere Patientinnen und Patienten und ermöglicht es uns, neben Gesamtüberleben und progressionsfreiem Überleben auch andere patientenrelevante Endpunkte wie zum Beispiel Lebensqualität im Blick zu behalten“, so Hallek.
US-Studie: PRO-Messung verlängert Leben
Dass eine stärkere Einbeziehung der Patienten-Perspektive durch kontinuierliche Messung von Patient-Reported Outcome nicht nur wissenschaftlich interessant ist, sondern auch unmittelbare Effekte auf klinische Endpunkte bis hin zum Gesamtüberleben haben kann, betont Prof. Dr. med. Hildegard Greinix, Kongresspräsidentin und Leiterin der Klinischen Abteilung für Hämatologie der Medizinischen Universität Graz. Sie berichtet von einer ursprünglich zwischen 2007 und 2011 von Ethan Basch am Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York durchgeführten Studie mit 766 Patientinnen und Patienten mit metastasierten soliden Tumoren. In der Studie wurden per Randomisierung zwei Patientengruppen gebildet, wobei eine Gruppe mit Hilfe eines webbasierten Abfragesystems in regelmäßigen Abständen Angaben über den Gesundheitszustand machte (PRO-Gruppe). In der Kontrollgruppe gab es die üblichen Follow-up-Besuche beim Arzt.
Basch und Kollegen konnten zeigen, dass die Berücksichtigung des Patient-Reported Outcome nicht nur zu einer signifikanten Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und zu einer signifikanten Verringerung von Notaufnahmebesuchen führte.1 Auch das Gesamtüberleben konnte signifikant gesteigert werden, wie eine kürzlich publizierte Post-hoc-Analyse zeigte.2 Ein Erklärungsansatz für dieses bemerkenswerte Ergebnis ist, dass die Patientinnen und Patienten in der PRO-Gruppe durch die elektronischen Tools die Möglichkeit hatten, auch zwischen den regulären Kontrollterminen eine Verschlechterung ihrer Symptome zu melden, was das Behandlungsteam in die Lage versetzte, zeitnah zu reagieren.
Ist Machbarkeit oberste Maxime?
Greinix sieht in der Hämatologie und Medizinischen Onkologie derzeit einen doppelten Paradigmenwechsel: „Im Bereich der medikamentösen Tumortherapie können wir entsprechend der individuellen molekularen Marker und genetischen Prädispositionen Arzneimittel immer gezielter einsetzen. Gleichzeitig erlaubt uns die webbasierte Erhebung des Patient-Reported Outcome, auf individuelle körperliche, soziale oder psychologische Problemstellungen in ganz anderer Qualität zu reagieren.“
Letztlich stellt sich durch die therapeutischen Fortschritte in der Hämatologie und Medizinischen Onkologie und durch die Erkenntnisse zur Bedeutung der Erfassung von Patient-Reported Outcomes einmal mehr die Frage nach den Therapiezielen. Sollte versucht werden, das Überleben um jeden Preis zu verlängern, nur weil es machbar ist? Oder geht es nicht auch oder vielmehr darum, Therapien zu finden, die den individuellen Erwartungen und Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten optimal gerecht werden? Für Hallek besteht die Herausforderung darin, beides – das Überleben und die Lebensqualität – im Blick zu haben: „Auch wenn sich das ärztliche Handeln in der Hämatologie und Medizinischen Onkologie an der Heilung orientiert, müssen wir auch auf die individuellen Behandlungs- und Lebensziele unserer Patientinnen und Patienten eingehen.“
Ausführliche Informationen unter: www.haematologie-onkologie-2018.com
Quellen: (1) Basch, Ethan et al. (2016): Symptom Monitoring With Patient-Reported Outcomes During Routine Cancer Treatment: A Randomized Controlled Trial. J Clin Oncol 2016; 34(6):557-65. (2) Basch, Ethan et al. (2017): Overall Survival Results of a Trial Assessing Patient-Reported Outcomes for Symptom Monitoring During Routine Cancer Treatment. JAMA 2017; 318(2): 197–198.