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HELIOS Klinikum Krefeld
Selektive interne Radiotherapie bekämpft Lebertumore von innen

Wenn die Leber versagt, endet das tödlich. Für Patienten mit Leberkrebs im fortgeschrittenen Stadium ein hartes Urteil. Nur 12 Prozent der rund 13 000 Betroffenen in Deutschland überleben die ersten fünf Jahre nach der Diagnose. Doch die Medizin macht Fortschritte und entwickelt im Kampf gegen die bösartigen Zellen immer wirksamere Behandlungsmethoden. Am HELIOS Klinikum Krefeld setzen die Ärzte nun, neben Operation und Strahlentherapie, auf die sogenannte selektive interne Radiotherapie, kurz S.I.R.T..
Sie sind nur wenige Mikrometer groß und kommen vom anderen Ende der Welt: Kleine Kügelchen aus Kunstharz bilden das Herzstück eines Verfahrens, dass die Überlebenschancen von Leberkrebspatienten in Zukunft weiter verbessern könnte. Bei der selektiven internen Radiotherapie (S.I.R.T.) schieben die behandelnden Ärzte eben diese Kugeln – patentiert und hergestellt im fernen Australien – per Katheter durch die Leisten der Schwerkranken bis in die Leberarterie vor. Dort werden sie von den Tumoren, die ihre ganze Energie aus dem Blutzufluss beziehen, eingesaugt. Die Besonderheit: Das Kunstharz ist radioaktiv aufgeladen und beginnt nun, den Krebs von innen heraus zu bekämpfen – der Rest des Lebergewebes wird dabei im Idealfall geschont. Auch weil die Reichweite der Strahlung gerade einmal drei Millimeter beträgt. Darüber hinaus behindern die Kügelchen die Blutzufuhr und schwächen die Tumore zusätzlich.
Was einfach klingt, ist nicht ohne Risiko, denn die Kugeln müssen dazu exakt platziert werden. „In einem Testlauf überprüfen wir, ob die Partikel ohne Umwege in die Tumore gelangen, denn die von ihnen ausgehende Strahlung könnte an anderer Stelle Schäden anrichten“, erklärt Prof. Dr. med. Marcus Katoh, Chefarzt des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am HELIOS Klinikum Krefeld. Läuft während des Tests alles glatt, werden die echten Kugeln in Auftrag gegeben. Von da an ist alles eine Frage des Timings: Denn die Partikel werden bereits an ihrem Ursprungsort mit Yttrium-90 aufgeladen und dann verschifft. Mit Hilfe komplizierter Verfahren berechnen die australischen Hersteller den Atomzerfall und ermitteln so die richtige Strahlendosis bei der Ankunft am Patient. Die sichere Weiterverwendung auf deutschem Boden kann dann nur ein fächerübergreifendes Expertenteam aus Onkologen, Nuklearmedizinern und Radiologen an einem Zentrum mit der notwendigen Infrastruktur gewährleisten.
Auch aufgrund des enormen Aufwandes kommt das ausgeklügelte S.I.R.T. - Verfahren im Moment eher für Patienten im fortgeschrittenen Stadium in Frage, das heißt bei Betroffenen mit primären Tumoren, die sich direkt in der Leber entwickelt haben und für Patienten mit sekundären Lebermetastasen, die sich von Darm- oder Brusttumoren sowie Hauttumoren abspalten. „Erst wenn Operation und Chemotherapie keinen Erfolg gebracht haben, wenden wir S.I.R.T. an. Doch erste Studien lassen vermuten, dass auch ein früherer Einsatz des Verfahrens von Vorteil sein könnte“, so Prof. Katoh. Problematisch sei die Anwendung nur dann, wenn die Tumore sich bereits außerhalb der Leber manifestiert haben.
Ob die Therapie erfolgreich war, erkennt der erfahrene Experte nach rund drei Monaten auf den Kontroll-MRT-Bildern. Seine bisherige Erkenntnis ist positiv: „Bei vielen unserer Patienten hören die Tumore auf zu wachsen oder werden sogar kleiner. Dafür lohnt sich jeder Aufwand.“
Wie wirkt Yttrium-90?
Yttrium wurde 1794 von Johan Gadolin, einem finnischen Chemiker, entdeckt und nach seinem Fundort im Mineral Ytterbit benannt. Im reinen Zustand ist das dreiwertige Element weißgrau und glänzt leicht metallisch. Bereits seit mehreren Jahren wird es in der Medizin vor allem aufgrund seiner relativ kurzen Halbwertszeit von nur 64,1 Stunden zur inneren Tumorbekämpfung eingesetzt.
Unter Abgabe der sogenannten Beta-Strahlung zerfällt Yttrium-90 in ein schwach stabiles Isotop, das nur eine geringe Reichweite von 2,5 Millimetern aufweist und so das umliegende Gewebe schont. Die Strahlung wirkt auf die kleinsten Einheiten des Tumors, die Zellen, und bremst deren Wachstum. Dabei zerstört es die für die Teilung wichtigen Abschnitte der zelleigenen DNS-Struktur. Normale, gesunde Körperzellen haben für solch einen Fall allerdings in der Regel einen „Notfallplan“. Das heißt, sie greifen in einem Reparaturverfahren auf spezielle Eiweißstoffe zurück, die zerstörte DNS-Abschnitte einfach heraustrennen. Bei bösartigen Tumorzellen läuft dieser Prozess sehr viel langsamer ab oder kommt – bei konzentrierter Bestrahlung mit Yttrium-90 – ganz zum Erliegen, die Zelle stirbt ab.