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Universitätsklinikum Tübingen
Unikliniken im Land fordern eine faire und leistungsgerechte Finanzierung

Deshalb haben die vier baden-württembergischen Universitätsklinika nun gemeinsam Alarm geschlagen. Sie sehen die Qualität der Patientenversorgung akut gefährdet – von eigentlich dringend notwendigen Verbesserungen ganz zu schweigen.
Rund 250.000 Patienten behandeln die Unikliniken in Tübingen, Heidelberg, Freiburg und Ulm jedes Jahr stationär. Ambulant versorgt werden sogar jährlich 1,3 Millionen Kranke. Universitätskliniken sind Einrichtungen der Maximalversorgung. Das bedeutet: Gerade besonders schwierige Fälle werden dort behandelt, Spezialambulanzen oder Zentren für seltene Erkrankungen sind dort angesiedelt und die interdisziplinäre Zusammenarbeit zum Beispiel in Tumorzentren ist dort etabliert. „Nur wir können solche Aufgaben bewältigen, weil es nur an den Universitätskliniken die Spezialisten für alle medizinischen Bereiche gibt. Nur wir können neue Therapieformen entwickeln und nur wir haben die notwendige Infrastruktur und apparative Ausstattung“, sagte der Vorstandsvorsitzende des Universitätsklinikums Ulm, Prof. Dr. Klaus-Michael Debatin, am Donnerstag beim Pressegespräch in Stuttgart.
Eine moderne medizinische Maximalversorgung wäre also ohne Hochschulmedizin nicht denkbar. Umgekehrt gilt aber auch, dass medizinische Fortschritte nur dann erzielt werden können, wenn Universitätskliniken auch in der Lage sind, Spezialangebote zu unterhalten. Darauf wies Bernd Sahner, Kaufmännischer Direktor des Universitätsklinikums Freiburg, hin: „Wir brauchen auch die Patienten in unseren Ambulanzen, um neue Therapieansätze zu finden und Forschung und Lehre betreiben zu können.“ Nicht zuletzt gehört die Ausbildung von rund 10.000 jungen Ärztinnen und Ärzten in jedem Jahr zu den Aufgaben der Universitätsmedizin.
Wir leisten mehr: Notfallversorgung an den Unikliniken
Doch gerade in denjenigen Bereichen, in denen die Universitätskliniken ihre besondere Stellung innerhalb der Patientenversorgung wahrnehmen, wird dies zum finanziellen Bumerang. Der Grund: „Deutschland ist weltweit das einzige Land, das seine Unikliniken genauso finanziert wie alle anderen Krankenhäuser“, sagt Prof. Debatin. Die Fallpauschalen, mit denen die Behandlung einer bestimmten Erkrankung von den Kassen vergütet wird, gelten überall gleichermaßen. Die Folgen beschreibt Prof. Reimer Riessen, Leitender Oberarzt am Universitätsklinikum Tübingen und mitverantwortlich für die dortige Notfallmedizin. Während sich kleinere Krankenhäuser aus Kostengründen immer mehr aus der Notfallversorgung zurückzögen, müsse an einem Uniklinikum an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr die erforderliche Infrastruktur und personelle Ausstattung bereit gehalten werden – bei einem nicht vorhersehbaren Patientenaufkommen. Rettungsdienste und Notärzte fahren immer öfter die Universitätskliniken als letzte Möglichkeit an. Im Ernstfall müssten mehrere Ärzteteams gleichzeitig für Notoperationen zur Verfügung stehen. Bezahlt werden aber nur die tatsächlich durchgeführten Behandlungen. „Das ist, als ob die Feuerwehr nur für Einsätze bezahlt würde, aber nicht für die Zeiten dazwischen“, so Prof. Riessen.
Wir leisten mehr: Interdisziplinäre Zentren und Spezialzentren
Ein großer Kostenfaktor sind auch die Zentren für seltene Erkrankungen (ZSE) an den Unikliniken. Die Schaffung solcher Fachzentren ist eine wichtige Forderung des „Nationalen Aktionsbündnisses für Menschen mit Seltenen Erkrankunkungen (NAMSE)“, dessen Aktionsplan im Sommer vergangenen Jahres mit Beteiligung der Bundesregierung verabschiedet wurde. Auch wenn solche Erkrankungen nicht mehr als fünf von 10.000 Personen betreffen, leiden in Deutschland insgesamt etwa vier Millionen Menschen an einer der bis zu 8.000 seltenen Erkrankungen. Viele erleben eine lange Odyssee bis zur richtigen Diagnose. Steht diese endlich fest, gibt es oft nur wenige medizinische Experten und wegen mangelnder Gewinnaussichten auch keine geeigneten Medikamente der Pharmaindustrie. Doch so wichtig und sinnvoll die Fachzentren der Universitätskliniken für die Patienten auch sein mögen: „Für ihre Lotsenfunktion, die interdisziplinären Fallkonferenzen und innovative Spezialverfahren zur Diagnostik erhalten diese gar keine oder zumindest keine kostendeckende Vergütung von den Krankenkassen“, klagt Prof. Georg F. Hoffmann, Sprecher des ZSE der Heidelberger Universitätsklinik. Zwischen einer und zwei Millionen Euro beträgt deshalb das jährliche Defizit der Zentren für seltene Erkrankungen, das jede Uniklinik im Land zu tragen hat.
Wir leisten mehr: Hochschulambulanzen
Ebenso unbegreiflich mutet die Finanzierung der Hochschulambulanzen (HSA) an. Zwischen zwei und vier Millionen Euro musste jede der vier baden-württembergischen Universitätskliniken im vergangenen Jahr für Patientenbehandlungen in ihren Ambulanzen an die Kassen zurückzahlen. Der Hintergrund: Das Sozialgesetzbuch gibt vor, dass gesetzlich Versicherte an Uniklinika nur in dem „für Forschung und Lehre erforderlichen Umfang“ ambulant behandelt werden dürfen. Auf dieser Grundlage muss die Zahl der zugelassenen Behandlungen mit den Krankenkassen im Voraus vereinbart werden. Für Behandlungen über diese festgelegte Zahl hinaus muss der Großteil der Kostenerstattung wieder an die Kassen zurückgegeben werden. „Kranke abzuweisen, die sich an uns wenden, geht aber schlicht an der Realität vorbei“, sagt Bernd Sahner, zumal die HSA längst unverzichtbarer Bestandteil der ambulanten Versorgung vor Ort geworden seien, wie die stetig steigenden Patientenzahlen belegten. Die wachsenden Defizite könnten nun aber dazu führen, dass offene Sprechstunden abgeschafft werden müssen und die teils heute bereits monatelangen Wartezeiten sich für die Patienten künftig noch verlängern werden.
Patientenversorgung: Finanzlage der Universitätskliniken ist prekär
Die bundesweit 33 Universitätsklinika fordern deshalb einhellig, die von ihnen erbrachten Zusatzleistungen durch einen Zuschlag bei der Fallpauschalen-Vergütung zu finanzieren, wie Ralf Heyder darlegte. Die entsprechenden finanziellen Reserven hierfür seien bei den Krankenkassen derzeit durchaus vorhanden. Der Generalsekretär des Verbands der Universitätsklinika Deutschlands (VUD) hatte aber auch zu berichten, dass dieser Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) kürzlich erneut abgelehnt wurde. Stattdessen habe die Gesundheitspolitik das Ziel ausgegeben, gesetzliche Regelungen zur Finanzierung der einzelnen Themenbereiche auf den Weg zu bringen. Dass dies genügt und vor allem dass dies noch rechtzeitig gelingt, daran äußerten die Vertreter der vier baden-württembergischen Universitätskliniken in Stuttgart erhebliche Zweifel. Die finanzielle Situation ist an allen vier Standorten heute bereits prekär. Selbst wenn im vergangenen Jahr wie in Tübingen noch eine schwarze Null als Gesamtergebnis vermeldet werden konnte, weist schon der Wirtschaftsplan für 2015 ein deutliches Defizit aus. Allein die Gehaltserhöhungen für die rund 38.000 Beschäftigten an den Unikliniken im Land und die Steigerungen bei den Betriebs- und Beschaffungskosten fallen Jahr für Jahr höher aus als die Anpassungen der Fallpauschalen-Vergütung. Für das Versorgungsstärkungsgesetz, das eine Lösung für die Finanzierung der Hochschulambulanzen bringen soll, liegt seit kurzem gerade einmal ein erster Referentenentwurf vor. Die angekündigte Krankenhausreform wird derzeit in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe verhandelt, der Zeitplan sieht ein Inkrafttreten frühestens im Jahr 2016 vor.
An eigentlich dringend notwendige Verbesserungen bei der personellen Ausstattung, Fortschritte bei der Erprobung und Umsetzung innovativer Therapiemethoden und an einen Ausbau der Kapazitäten dort, wo die Nachfrage der Patienten besonders groß ist, sei unter diesen Bedingungen nicht zu denken, sagte Gabriele Sonntag, Kaufmännische Direktorin des Tübinger Uniklinikums. Stattdessen hätten die Verantwortlichen vor Ort das Gefühl, die Kostenentwicklung „wie einen Tsunami auf uns zurollen zu sehen“, sagte Prof. Michael Bamberg, Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Tübingen. Mit der Veranstaltung in Stuttgart haben die verantwortlichen Gesundheitspolitiker zumindest eine rechtzeitige Vorwarnung erhalten.
Daten und Fakten
An den vier baden-württembergischen Universitätskliniken Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm werden pro Jahr rund 250.000 Patienten stationär behandelt und ca. 1,3 Millionen Patienten ambulant. Die vier Kliniken verfügen zusammen über rund 6600 Bettenund beschäftigten rund 38.000 Mitarbeiter.