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Blasenkrebs
Wann eine Chemotherapie sinnvoll ist
Blasenkrebs gehört zu den zehn, bei Männern zu den fünf häufigsten Tumorerkrankungen in Deutschland. Jedes Jahr erkranken hierzulande etwa 30.000 Menschen daran. Insbesondere, wenn der Blasenkrebs bereits in die Muskelschicht der Blasenwand eingewachsen ist, steigt die Gefahr, dass er „streut“, also Metastasen bildet. Bei Patientinnen und Patienten mit muskelinvasivem Blasenkrebs, der noch nicht gestreut hat, wird die Blase deshalb in der Regel operativ entfernt. Vorab sollen die Erkrankten laut Leitlinie zusätzlich eine Chemotherapie erhalten, also einen Wirkstoff, der schnell wachsende Zellen angreift. Ziel dieser Vorbehandlung ist es, den Tumor bereits vor der Operation zu verkleinern und so das Rückfallrisiko sowie die Metastasen-Bildung zu mindern. Allerdings nimmt bei etwas mehr als der Hälfte der Betroffenen die Größe des Tumors durch die Chemotherapie nicht ab. Diese Patienten profitieren also nicht von der Vorbehandlung, sondern verlieren im Gegenteil wertvolle Zeit, in der der Blasenkrebs weiter wachsen und Metastasen bilden kann.
Ein internationales Forschungsteam um Dr. Michael Schmück-Henneresse, Wissenschaftler am Berlin Institute of Health Centrum für Regenerative Therapien (BCRT), am Institut für Medizinische Immunologie und am Berlin Center for Advanced Therapies (BeCAT) der Charité, hat nun einen Weg gefunden, die Patienten, die von einer Chemotherapie profitieren, von denen, die es nicht tun, zu unterscheiden. Der Schlüssel dazu fand sich im Immunsystem der Betroffenen noch vor Beginn der Behandlung: Nur wenn das Tumorgewebe zwei spezifische immunologische Komponenten, CXCL11 und CXCR3alt, in großen Mengen aufwies, zeigte die anschließende Chemotherapie Wirkung. „Diese beiden Komponenten lassen sich im Labor vergleichsweise unkompliziert messen, als Probe reicht die Biopsie aus, die für die Diagnostik des Tumors entnommen wird“, sagt Dr. Schmück-Henneresse. „Mit dieser technisch einfachen Methode ist es grundsätzlich also bereits zum Zeitpunkt der Diagnose möglich, den Erfolg einer Chemotherapie bei dem oder der Betroffenen abzuschätzen. Ist es unwahrscheinlich, dass die Vorbehandlung anschlägt, könnte man auf die Chemotherapie verzichten und den Blasenkrebs direkt operativ entfernen. Ein solches personalisiertes Vorgehen würde den Patientinnen und Patienten nicht nur die Nebenwirkungen einer unwirksamen Behandlung ersparen, sondern voraussichtlich auch ihre Überlebenschancen erhöhen. Bevor der Nachweis von CXCL11 und CXCR3alt bei Patientinnen und Patienten mit Blasenkrebs routinemäßig eingesetzt werden kann, sind aber noch weitere Studien nötig, die unsere Ergebnisse unabhängig bestätigen."
Für die Studie untersuchten die Forschenden nach Abschluss der Chemotherapie Tumorproben von 20 Patientinnen und Patienten mit muskelinvasivem Blasenkrebs, die an der schwedischen Umeå University in Behandlung waren. Die Biopsien hatte das Team um Dr. Amir Sherif schon vor der Therapie im Rahmen einer Blasenspiegelung für die Diagnose entnommen. Die Forschungsgruppe analysierte, welche immunologischen Botenstoffe sich in dem Gewebe fanden und welche Rezeptoren, also „Empfänger“ für diese Botenstoffe, die Immunzellen in dem Tumor produzierten. Für alle gefundenen Komponenten prüfte sie anschließend, ob deren Menge mit dem Therapieerfolg zusammenhing. Das war sowohl für den Botenstoff CXCL11 als auch den Rezeptor CXCR3alt der Fall: Nur wenn sich im Tumorgewebe besonders viel CXCL11, ein Lockstoff für Immunzellen, fand und bestimmte Zellen des Immunsystems, die T-Zellen, den dafür passenden Rezeptor CXCR3alt herstellten, zeigte die Chemotherapie Wirkung. Das Team überprüfte seine Beobachtungen anschließend anhand bereits existierender Daten aus dem „The Cancer Genome Atlas“. Auch hier zeigte sich, dass von 68 Blasenkrebs-Patienten, die eine Chemotherapie erhielten, diejenigen mit großen Mengen CXCL11 im Tumorgewebe häufiger überlebt hatten.
„Wir interpretieren unsere Ergebnisse so, dass das Signalmolekül CXCL11 spezifische T-Zellen in den Tumor lockt und sie stimuliert, sich zu vermehren und so verstärkt gegen den Krebs vorzugehen“, erklärt der Erstautor der Studie Tino Vollmer, Doktorand am Institut für Medizinische Immunologie der Charité und Wissenschaftler am BCRT und BeCAT. „Die Chemotherapie scheint diese körpereigene Bekämpfung des Tumors dann zu unterstützen, etwa weil die T-Zellen durch den Zerfall des Krebsgewebes einfacher einwandern können.“ Der Einfluss des Immunsystems auf den Ausgang der Therapie widerspricht dabei der langjährigen Lehrmeinung, dass die Wirkung chemotherapeutischer Medikamente allein auf der hohen Teilungsfähigkeit der Krebszellen beruht. „Zusammen mit anderen Studien betont unsere aktuelle Arbeit, wie wichtig hierbei auch die aktive Bekämpfung des Tumors durch das Immunsystem ist“, sagt Vollmer.
Die Forschungsgruppe will deshalb als nächstes untersuchen, ob sich die T-Zellen von Patienten, deren eigenes Immunsystem weniger stark gegen den Blasenkrebs vorgeht, mithilfe eines zelltherapeutischen Ansatzes aktivieren lassen: Dazu möchte das Team die T-Zellen der Betroffenen außerhalb des Körpers mit einem künstlichen CXCR3alt-Rezeptor ausstatten und anschließend wieder in den Körper einschleusen. Diesen Therapieansatz wird das Team auch für andere Krebsarten erforschen. Zusätzlich plant es, die personalisierte Gabe der Chemotherapie bei Blasenkrebs voranzubringen. Dazu soll die Vorhersagekraft der beiden Immunkomponenten CXCL11 und CXCR3alt mithilfe einer sogenannten prospektiven Validierung überprüft werden, die unabhängige Gruppen von Patientinnen und Patienten mit muskelinvasivem Blasenkrebs an verschiedenen europäischen Krankenhäusern untersucht. „Sollte sich die Verlässlichkeit der Vorhersage bestätigen, könnte die Analyse des Immunstatus in Zukunft regulär als Entscheidungsgrundlage für die Blasenkrebs-Behandlung genutzt werden“, sagt Dr. Schmück-Henneresse.
*Vollmer T et al., The intratumoral CXCR3 chemokine system is predictive of chemotherapy response in human bladder cancer. Sci Transl Med 2021 Jan 13. doi: 10.1126/scitranslmed.abb3735
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Michael Schmück-Henneresse
Berlin Institute of Health Centrum für Regenerative Therapien (BCRT)
Institut für Medizinische Immunologie
Berlin Center for Advanced Therapies (BeCAT)
Charité – Universitätsmedizin Berlin
t: +49 30 450 539 495
E-Mail: michael.schmueck-henneresse@charite.de
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1126/scitranslmed.abb3735