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Junge Erwachsene mit Krebs
Wann wird die Kryokonservierung von Eierstockgewebe Kassenleistung?
Wir berichten über ein Lehrstück für das Regelungs-Labyrinth medizinischer Leistungen, ein Beispiel für intransparente und quälend langsame Bürokratie und für den berufspolitischen Streit zwischen den Kassenärzt:innen, Krankenhäusern und medizinischen Dienstleistern zulasten von jungen Patientinnen, die mit der Diagnose Krebs um ihre Lebensperspektiven bangen.
Krebs ist bei über 80 Prozent der jungen Menschen heilbar. Aber Krebsbehandlungen können zu Unfruchtbarkeit führen. Die Kryokonservierung von Eierstockgewebe ist eine Methode, um diese Folge bei jungen Frauen zu verhindern. Dabei wird vor der Chemotherapie oder Bestrahlung mit einer Schlüsselloch-Operation Eierstockgewebe entnommen, tiefgefroren und in Tanks mit flüssigem Stickstoff bei -196°C gelagert. Ein Vorteil ist, dass die Entnahme des Gewebes innerhalb von sehr kurzer Zeit realisiert werden kann und die Krebstherapie nicht verzögert wird.
Wenn die Eierstöcke der jungen Frauen nach der Krebstherapie versagen sollten, kann die Funktion durch Wiedereinsetzen des eingefrorenen Gewebes wiederhergestellt werden. Ein wichtiger Vorteil ist hierbei: Der Zyklus wird wieder hergestellt und damit auch die normale Hormonproduktion. Eine Schwangerschaft auf natürlichem Weg wird wieder möglich.
Das Verfahren wurde führend von deutschen Wissenschaftler:innen entwickelt. Es ist besonders bei der im jungen Alter häufigen Hodgkin-Lymphom-Erkrankung geeignet. Die Kosten betragen bis zu etwa 2.300 Euro für Entnahme und Einfrieren plus die jährlichen Lagerkosten von etwa 300 Euro. Die Leitlinie der Fachgesellschaften ordnet es als etabliertes Verfahren ein und empfiehlt die Durchführung.
Die medizinische Bedeutung der Kryokonservierung von Eierstockgewebe ist eindeutig. Die Finanzierung durch die Krankenkassen ist jedoch ein Lehrstück für die Wirrnisse in den Regelungen für medizinische Leistungen, für intransparente und quälend langsame Bürokratie und ein trauriges Dokument für den berufspolitischen Streit zwischen Kassenärzt:innen, Krankenhäusern und medizinischen Dienstleistern zulasten der Patientinnen.
Das Bundessozialgericht hat 2010 im Grundsatz zugunsten der Patientinnen entschieden, aber...
2007 hatte eine Patientin auf Kostenübernahme ihrer Eierstockgewebe-Entnahme geklagt. In der 3. Instanz gab ihr das Bundessozialgericht (BSG) am 17. Februar 2010 (Az. B 1 KR 10/09 R) Recht. Die Kosten für das Einfrieren von Eierstockgewebe sind als Teil einer Behandlung zur Wiederherstellung der natürlichen Fruchtbarkeit nach § 27 Absatz 1 des Sozialgesetzbuchs V grundsätzlich durch die Kassen zu übernehmen. Über eine Finanzierung freuen konnte sich die Patientin jedoch nicht. Es gab neue Hürden.
1. Hürde: Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hielt die Eierstockgewebekonservierung 2011 für nicht wissenschaftlich etabliert.
Da das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg im vorausgehenden Prozess der Patientin nicht alle erheblichen Tatsachen festgestellt hatte, wurde der Rechtsstreit vom BSG an das LSG zurückverwiesen. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg wies dann die Kostenübernahme in seinem Urteil AZ L 1 KR 112/10 ZVW vom 7.10.2011 ab.
Ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen hielt die Methode für noch nicht etabliert und anerkannt. Das Gutachten ist heute durch die Datenlage und die Leitlinie der Fachgesellschaften überholt. Trotzdem berufen sich viele Krankenkassen auf dieses Urteil.
2. Hürde: „Erlaubnisvorbehalt“ des Gemeinsamen Bundesausschuss
Die Entnahme von Eierstockgewebe ist in der Mehrzahl der Fälle ambulant möglich. Eigentlich eine erfreuliche Tatsache für die ohnehin schwer belasteten Patientinnen. Für die Kostenübernahme ergeben sich jedoch fatale Konsequenzen.
Bei einer ambulanten Behandlung müssen die Kosten von den Krankenkassen nur übernommen werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in einer Richtlinie eine Erlaubnis erteilt hat (§ 135 Abs. 1 SGB V). Eine solche Erlaubnis liegt für die Eierstockgewebekonservierung nicht vor und ist auch nie beantragt worden.
Das dazugehörige Methodenbewertungsverfahren kann nur von Mitgliedern des Gemeinsamen Bundesausschuss beantragt werden: einem Unparteiischen nach § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB V, einer Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen. Bezeichnenderweise wurde den Patient:innenvertretern im G-BA dieses Recht nicht gegeben. Beantragt wurde das Bewertungsverfahren nie.
Es gibt aber eine Hintertür: Wird eine Behandlung stationär durchgeführt, hat der G-BA nur die Befugnis eines Verbots (§ 137c Abs. 1 SGB V). Ein solches Verbot liegt für die Eierstockgewebekonservierung nicht vor. Bei stationärer Entnahme kann man also auf eine Finanzierung hoffen. Leider kennen weder Patientinnen noch die meisten Ärzt:innen diese komplizierten Hintergründe.
Stiftung unterstützt zehn Klagen vor den Sozialgerichten
Trotz der Hürden kämpfen Betroffene für ihr Recht vor den Sozialgerichten. Ein schwieriges, kompliziertes und langwieriges Unterfangen, denn jeder Fall ist etwas anders. Schriftwechsel sind zu führen, und es gibt Vorladungen vor Gericht zur mündlichen Verhandlung, die vorbereitet sein wollen. Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs unterstützt Betroffene in verschiedenen Bundesländern.
Der Gemeinsame Bundesausschuss arbeitet an der Kassenfinanzierung der Kryokonservierung von Eierstockgewebe. Licht am Ende des Tunnels?
Als nach mehr als 1½ Jahren nach der Gesetzesänderung im Dezember 2020 endlich die zugehörige Richtlinie des G-BA erschien, hieß es ganz am Schluss des Textes:
„Der G-BA setzt die Beratungen zu weiteren Maßnahmen der Kryokonservierung (z. B. von Keimzellgewebe) und den dazugehörigen medizinischen Maßnahmen (insbesondere auch bei Minderjährigen) fort.“
Was das beinhalten sollte, war auch für Fachleute nicht erkennbar und schon gar nicht für die Patientinnen. Weitere Verlautbarungen zu dem Thema gibt es nicht. Auch ein Zeitplan ist nicht vorhanden. Beschlussvorlagen sind geheim. Für die Öffentlichkeit herrscht glasklare Intransparenz.
Wie die Stiftung aus gut unterrichteten Kreisen erfahren hat, soll die Kryokonservierung von Eierstockgewebe in die Richtlinie des G-BA aufgenommen werden. Die Regelung für Mädchen ab der Pubertät und Frauen bis 35 Jahre scheint befriedigend zu sein. Ausgerechnet für die jungen Mädchen vor der Pubertät ist die Finanzierung jedoch umstritten – Kassen und Kassenärztliche Vereinigungen sperren sich, soweit der Stiftung bekannt.
Neben der Intransparenz des Verfahrens für die Öffentlichkeit kommt auch hier ein zweites Kernmerkmal der Gesundheitsbürokratie zum Vorschein: quälende Langsamkeit. Eine Anhörung zum Richtlinienentwurf fand nach unseren Informationen im Dezember 2021 statt. Eine endgültige Fassung zum Beschluss hat auch am 18.3.2022 nicht auf der Tagesordnung des G-BA gestanden. Es gibt gute Chancen, das 3-jährige Jubiläum der Gesetzesänderung zum § 27a SGB V im Mai 2019 zu erreichen.
Nach einem Inkrafttreten der Richtlinie des G-BA hat der Ausschuss Ärzte-Krankenkassen bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung noch ein halbes Jahr Zeit, um die neuen Regelungen in Abrechnungsziffern (EBM – Einheitlicher Bewertungsmaßstab) umzusetzen. Das könnte nach dem bisherigen Zeitablauf vielleicht noch 2022 gelingen. Danach wäre formal die Kassenfinanzierung realisiert.
Ein neuer Tunnel kommt am Ende des Lichts
Doch auch nach diesen Schritten sind weitere Probleme absehbar. Eine direkte Abrechnungsmöglichkeit mit den Krankenkassen besteht nämlich nur für Kassenärzte. Die Entnahme von Eierstockgewebe wird jedoch in der Mehrzahl der Fälle von (Universitäts-)Kliniken angeboten. Diese Kliniken haben in den meisten Fällen keine Kassenzulassung und damit auch keine Abrechnungsmöglichkeit mit den Krankenkassen. Die Folge: Die Patientinnen bekommen eine private Rechnung, die sie in der Regel selbst bezahlen müssen. Dies gilt vielfach in gleicher Weise für das Einfrieren des Gewebes und die nachfolgende Lagerung in einer Kryobank.
Die entsprechenden Labore und Kryobanken sind Dienstleister. Sie unterliegen den strengen Regeln des Arzneimittelgesetzes und den Inspektionen der Arzneimittelbehörden. Sie werden in den meisten Fällen von Wissenschaftler:innen geführt, die nicht aus der Medizin sondern z.B. aus der Biologie stammen. Daher haben auch sie in der Regel keine direkte Abrechnungsmöglichkeit mit den Kassen.
Die Zulassung von Kliniken oder Klinikärzt:innen zur Kassenabrechnung wird von den Kassenärztlichen Vereinigungen bewilligt oder abgelehnt. Hier herrscht permanenter berufspolitischer Streit mit dem Argument, dass die fraglichen Leistungen ja von niedergelassenen Ärzt:innen erbracht werden könnten.
Die Erfahrung der Stiftung zeigt, dass dies in der Praxis oft nicht der Fall ist. Dabei spielt auch eine Rolle, dass gerade Krebserkrankungen bei jungen Patient:innen in den Krebszentren der Universitätskliniken behandelt werden. Da ist der Wunsch verständlich, dass die Maßnahmen zur Fruchtbarkeitserhaltung auch hier im Rahmen der Vorbereitungen für die Krebstherapie durchgeführt werden. Unter dem Zeitdruck der anstehenden Therapie können die Patientinnen nicht beliebig lang nach Angeboten niedergelassener Ärzt:innen suchen.
Die Politik muss ein Zeichen gegen intransparente und langsame Bürokratie und den berufspolitischen Streit um die Versorgung der Patient:innen setzen!
Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs fordert, dass unbürokratische und für die Betroffenen einfach zu handhabende Wege für die Realisierung einer durch die Krankenkassen finanzierten Fruchtbarkeitserhaltung bereitgestellt werden.
Die Politik ist gefordert, klare Zeichen zu setzen gegen die quälend langwierige und intransparente Umsetzung von Gesetzen im Gesundheitsbereich und gegen berufspolitisch bedingte Reibungen und Blockaden zulasten der Patient:innen.
Statt Wegducken und Zuständigkeits-Spielen erwarten die jungen Krebspatient:innen jetzt die Übernahme von Verantwortung und Aktion!