- Kongresse [+]
PHARMIG Academy
In Daten investieren heißt in Gesundheit investieren
Die EU-Kommission möchte daher den sogenannten European Health Data Space umsetzen, der eine grenzüberschreitende Analyse von Gesundheitsdaten nach einheitlichen Standards ermöglichen soll. Welches Entwicklungspotenzial in der Digitalisierung steckt und was ihr Einsatz für den Gesundheitsbereich bedeutet, wurde bei einer virtuellen Veranstaltung der PHARMIG ACADEMY diskutiert.
Die SARS-CoV-2-Pandemie hat gezeigt, dass ein besserer Zugang zu Gesundheitsdaten für Forschung und öffentliche Gesundheit nötig ist. „Der medizinische und technische Fortschritt ist unaufhaltsam. Daten, ihre Nutzung sowie die Digitalisierung spielen dabei eine ganz wesentliche Rolle. Aber wo wir in dieser Entwicklung stehen, wie die Zukunft der Datennutzung aussieht und wie wir es schaffen, die daraus gewonnenen Erkenntnisse auf unser Leben und unsere Zukunft zu übertragen, das sind Fragen, die noch unbeantwortet sind“, erklärt Prof. Dr. Robin Rumler, Präsident der PHARMIG ACADEMY zum Beginn des Health Care Symposiums.
Traditionell ist der Gesundheitssektor zwar reich an Daten, da diese aber in ihren eigenen Silos brach liegen, sind sie damit nur bedingt interpretierbar. „Einen echten Mehrwert haben Patientinnen und Patienten sowie die Forschung und Entwicklung von den gesammelten Daten erst dann, wenn diese Silos miteinander kommunizieren und so datenbasierte Entscheidungen ermöglicht werden“, sagt Dr. Shirley Gil Parrado, Vizepräsidentin der PHARMIG ACADEMY, anlässlich der Eröffnung der Veranstaltung.
Mit Blick auf die Benefits für Patientinnen und Patienten sagt DI Dr. Niki Popper von der Technischen Universität Wien: „Datensilos müssen aufgebrochen werden, doch zuvor müssen wir überlegen, warum und wie diese Datenprozesse funktionieren. Patientinnen und Patienten müssen in Zukunft noch mehr in diesen Prozess integriert werden, denn das passiert aktuell noch nicht ausreichend. Wir brauchen innovative Datenprozesse, bei denen man mit Algorithmen dezentral auf Daten zugreifen und zuvor vereinbarte Auswertungen vornehmen kann.“ Simulationsforscher Popper plädiert bei der Datennutzung für klare Regeln sowie einheitliche Standards. Die Möglichkeit, Gesundheitsdaten in Zukunft querbeet nutzen zu können, schließt Popper allerdings aus – welche Art von Daten in Zukunft verwendet werden können, müsse definiert werden.
Werden Daten aber nicht breit genutzt, kann auch die Forschung nicht im vollen Umfang davon profitieren. Auf internationaler Ebene führt das zu einem Nachteil gegenüber anderen Ländern, die bereits eine Basis für die Datennutzung in der Forschung geschaffen haben. In Finnland zum Beispiel besteht bereits ein digitaler Gesundheitsdatenraum in einer Weise, die dem geplanten European Health Data Space einiges vorwegnimmt. Dort wurde mit Findata eine eigene Behörde gegründet, die den Zugang zu Gesundheitsdaten für sekundäre Verwendungszwecke einschließlich der Forschung gewährt. Allein in den letzten zwei Jahren hat es laut Behörde 660 Anwendungsanträge von finnischen Gesundheitsdaten gegeben. Die Forschungsprojekte widmen sich beispielsweise Risikofaktoren von Tumoren, neuen Diagnoseverfahren und klinischen Registrierungsstudien.
„Europa hinkt bei der Gesundheitsdatennutzung noch hinterher. Mit einer gemeinsamen Infrastruktur und einer rechtlichen Basis würden Patientinnen und Patienten über die innereuropäischen Grenzen hinweg viel stärker von den Effekten der digitalisierten Datennutzung für die Gesundheitsversorgung profitieren“, erklärt Markus Kalliola vom Finnischen Innovations-Fonds Sitra, der an der Initiierung des finnischen Gesundheitsdatenraums beteiligt war. Kalliola ist außerdem Koordinator im Kooperationsprojekt Joint Action Towards the European Health Data Space (TEHDAS) der EU. 25 Länder sind an diesem Projekt beteiligt. „Es konzentriert sich auf die Datenverwaltung, -qualität und -infrastruktur und sucht nach gemeinsamen Lösungen für die grenzüberschreitende Nutzung von Gesundheitsdaten. Diese Daten werden zwar nicht zentral gespeichert, aber gemeinschaftlich genutzt“, sagt Kalliola. Ziel der Zusammenarbeit ist es, die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten beim Aufbau des Europäischen Gesundheitsdatenraums zu unterstützen, die Basis für darauf aufbauende fundierte und informierte politische Entscheidungen zu schaffen sowie Forschung und Innovationen in Europa sicherzustellen.
Die Umsetzung des European Health Data Space verlangt ein Zusammenspiel zwischen Technik, Medizin und dem regulierenden Bereich. In der rechtlichen Konzeption dieses Datenraums wird die Erwartung formuliert, dass einerseits die Daten der Bürgerinnen und Bürger geschützt bleiben, andererseits aber das eigene Recht auf Datenübertragbarkeit sichergestellt ist, um diese Daten zu erhalten sowie für eigene Zwecke und für verschiedene Dienste wiederzuverwenden. „Wir bekommen damit den Auftrag, Grundrechtspositionen der Patientinnen und Patienten zu garantieren und auf der anderen Seite einen freien Fluss von Gesundheitsdaten zu ermöglichen. Das ist ein durchaus anspruchsvolles Vorhaben. Allerdings sollte man bei der Realisierung darauf achten, dass dadurch nicht nur Juristinnen und Juristen beschäftigt werden“, erklärt Univ. Prof. Dr. Nikolaus Forgó von der Universität Wien. Innovationen und der Gesetzgeber würden nicht immer Hand in Hand gehen. Forgó empfiehlt, die Gesetzgebung nicht zu überfordern, sondern sich auf grundsätzliche Fragen zu beschränken und abzuwägen, „bevor man einem Aktionismus verfällt, der in hoher Geschwindigkeit möglichst viel Text produziert.“
Inwieweit Gesundheitsdaten von Patientinnen und Patienten genutzt werden können, ist auch eine Frage der Sicherheit. Einerseits werden manche Daten leichtfertig bei der Nutzung von Apps übermittelt, gleichzeitig überwiegt bei medizinischen Diensten oftmals die Skepsis. „Der Gesetzgeber muss den rechtlichen Rahmen schaffen, dass Patientinnen und Patienten bei der Weitergabe ihrer Daten sicher sein können, weil ihnen ja auch eine State-of-the-Art-Behandlung zusteht“, erklärt Dr. Maria Kletečka-Pulker vom Institut für Ethik und Recht in der Medizin vom Ludwig Boltzmann Institut – Digital Health and Patient Safety. Die Juristin empfiehlt, die Kompetenz im Gesundheitsdatenbereich bereits im Schulalter zu vermitteln. „Patientinnen und Patienten können aber nicht verbieten, dass Krankengeschichten über sie geführt werden. Daher können sie auch nicht entscheiden, dass sie der Forschung vorenthalten werden.“ Der Schutz ihrer persönlichen Daten müsse aber gewährleistet bleiben.
„An identifizierbaren Personendaten sind wir nicht interessiert. Für uns beispielsweise zählen lediglich die Altersklasse und das biologische Geschlecht. Mehr wollen wir auch gar nicht wissen“, erklärt Dr. Jama Nateqi, Gründer und CEO der Symptoma GmbH. Das Unternehmen möchte die Weiterentwicklung der Präzisionsmedizin in der klinischen Praxis mit einem digitalen Gesundheitsassistenten vorantreiben. Zu den Referenzprojekten zählt auch eine Software, um im Rahmen eines digitalen Assessments COVID-19 von 20.000 anderen Krankheiten zu differenzieren. „Wir werten elektronische und voranonymisierte Krankenakten aus. Dadurch sind wir in der Lage, die unterschiedlichen Muster selbst seltener Krankheiten aufzudecken und im besten Fall neue Erkenntnisse über diese Krankheiten zu gewinnen. Zweifellos kann durch Datennutzung und Digitalisierung das Wissen über Erkrankungen vertieft und so dazu beigetragen werden, dass Patientinnen und Patienten schneller und treffsicherer behandelt werden können“, so Nateqi.
Das Health Care Symposium der PHARMIG ACADEMY, moderiert von Mag. Ursula Puschmann, fand virtuell Anfang März mit knapp 170 Teilnehmenden statt.